Rückschritt statt Revolution - Nadja Rakowitz: Verspricht die Krankenhausreform mehr als sie hält?

Ökonomischer Druck, Fehlanreize und eine Versorgung, die oft an den Bedürfnissen der Patient*innen vorbeigeht – viele Kliniken stehen vor großen Herausforderungen. Doch kann die geplante Krankenhausreform das ändern? Im Podcast „heilewelt“ spricht Dr. Pia Schüler mit Medizinsoziologin Nadja Rakowitz über Chancen und Schwächen der Reform, notwendige Änderungen im Vergütungssystem und ihren Einsatz für eine menschenzentrierte Krankenhausversorgung.

(Intromusik im Hintergrund)

Pia: Hi, willkommen zu einer neuen Folge von Heilewelt, dem Podcast über positive Zukunftsvisionen in der Medizin. Ich bin Pia, ich bin Ärztin  und spreche hier mit den Menschen, die die Medizin nicht nur verbessern möchten sondern es ganz konkret  breits tun. In unseren Gesprächen tauchen wir in die Welt medizinischer Vorreiter:innen ein und hören, für welche Visionen sie brennen. In dieser Folge ändert sich unser Konzept ein wenig, denn wir sprechen über eine Reform an sich.

An dieser haben viele Menschen mitgewirkt. Wir können also nicht die eine Person interviewen, die sie auf den Weg gebracht hat, aber es gibt jemanden, der sich seit vielen Jahren mit dieser Reform bzw. warum diese Reform nötig ist, beschäftigt.

Es geht um die Krankenhausreform. Auf den Weg gebracht von der letzten Bundesregierung soll sie jetzt dieses Jahr Stück für Stück in Kraft treten. Und wahrscheinlich löst das Thema bei vielen erst mal keine Begeisterungsstürme von Neugierde aus, aber wir wollen, dass ihr nach dieser Folge mitreden könnt, versteht, woran es hakt, was wir von einer Reform erwarten können und warum diese Reform selbst noch viel Reformbedarf hat.

 

Ich habe dafür heute bei mir Dr. Nadja Rakowitz. Sie ist promovierte Medizinsoziologin und Geschäftsführerin des VDÄÄ, dem Verein demokratischer Ärzte und Ärztinnen, der sich seit Jahren für eine bessere Vergütung unserer Krankenhäuser stark macht, um einer Fehl- und Unterversorgung entgegenzuwirken. Genug der vielen Worte vorweg, let's get to it.

 

Hallo Nadja, schön, dass du da bist, heute am frühen Morgen. Wie geht's dir, wie war dein Tag bisher?

 

Nadia: Guten Morgen, mein Tag war gut. Ich kann aufstehen, wann ich will. Da fängt der Tag schon mal gut an.

 

Pia: Sehr schön, sehr schön. Wir haben ja heute was recht Breites vor und das ist sicher ein Thema, wo die Leute nicht direkt in Begeisterung verfallen oder vielleicht auch ein bisschen überfordert sind von der Komplexität, die man da immer so medial vielleicht - ja sich konfrontiert sieht damit.

Reform klingt aber natürlich eigentlich erst mal positiv, klingt ja nach was, wo wir sagen, aha  wir machen es besser, wir wollen es besser machen. Was müssen wir denn besser machen? Wieso brauchen wir eine Krankenhausreform?

 

Gesundheitswesen am Limit – Der Druck hinter der Krankenhausreform

 

Nadia: Also die brauchen wir ganz dringend, das steht außer Zweifel. Die brauchen wir deshalb dringend, weil die letzten 25 Jahre der Krankenhausgeschichte eine Geschichte der Ökonomisierung waren, einer würde ich sagen brutalen Durchökonomisierung aller Prozesse im Krankenhaus. Das ist gekommen mit der Einführung der Diagnosebezogenen Fallpauschalen, der DRGs und das war politische Absicht, diesen ganzen Krankenhaussektor zu einem Markt zu machen, einen Mechanismus einzuführen, der alle Krankenhäuser unabhängig von ihrer Trägerschaft, also ob sie Profit getragen oder Non-Profit sind, in Unternehmen zu verwandeln, die versuchen müssen, wie Unternehmen zu agieren. Das hat man gemacht über dieses DRG-System, das ist ein Preissystem, das jede Diagnose einen bestimmten Preis macht und dass die Krankenhäuser zwingt, Patient:innen zu bekommen, weil sie nur, wenn sie Patient:innen haben, Geld bekommen. Wenn also ein Krankenhaus leere Betten hat, bekommt es dafür kein Geld.

Gleichzeitig hat man die Investitionen, die von den Ländern kommen, also von der öffentlichen Hand, so weit heruntergefahren, dass die Krankenhäuser in finanzielle Not an der Stelle geraten und die Gelder der Krankenkassen auch umwidmen - und hat somit Druck erzeugt auf die Unternehmensleitungen der Krankenhäuser, dass sie einerseits Personal entlassen haben - weil das Personal der größte Ausgabenposten ist im Krankenhaus - und andererseits versuchen, auf Gedeih und Verderb Patient:innen zu bekommen. Das heißt, das hat zu Überversorgung geführt, zu Fehlversorgung, es hat dazu geführt, dass bestimmte Abteilungen, die nicht lukrativ sind, geschlossen werden, wie zum Beispiel die Geburtshilfe, weil man Geburtshilfen nicht ökonomisch effizient organisieren kann, wenn es nicht gerade Kaiserschnitte sind und natürliche Geburten, dann dauert das seine Zeit. Die Pädiatrie, weil Kinder nicht ohne weiteres ökonomisch effizient alles sofort mitmachen, was man von ihnen verlangt im Krankenhaus, das ist nervig, das kostet Zeit, das kostet Personal. Also fährt man die Pädiatrien runter und fährt dafür andere Abteilungen hoch, wo man leichter Geld machen kann in diesem System. Die Art und Weise, wie ich da jetzt schon drüber rede, zeigt schon, dass das irgendwie kaum noch was mit Gesundheitswesen zu tun hat, sondern eigentlich sehr viel mehr mit Ökonomie.

 

Pia: Ja, ich glaube, das ist auch bei den meisten tatsächlich angekommen. Also dieser Kostendruck, den Krankenhäuser haben, die Zeitnot, die aus geringerem Personal besteht, einfach dass Patientinnen natürlich auch immer den Stress irgendwie in einem Krankenhaus merken. Und eben, das kriegt man vielleicht noch nicht so mit, wenn man selbst noch nicht darauf angewiesen ist, in einem Krankenhaus behandelt worden zu sein - aber für Leute, die im Gesundheitswesen arbeiten, ist das auf jeden Fall sehr deutlich - ich arbeite in einer Gynäkologie und Geburtshilfe und es ist genau das, was du beschreibst. Diese Abteilungen sind extrem unter Druck, immer mehr Kreissäle beispielsweise schließen auch in großen Regionen, wo man eigentlich viele Kinder erwartet, also Kinder auf die Welt kommen müssten. Und das ist sicher was, wo man irgendwie das Gefühl hat, das geht in die falsche Richtung, wenn wir eigentlich ja unsere medizinische Versorgung gewährleisten wollen.

 

Nadja: Ja, dazu kommt dann, da wird jetzt plötzlich von Fachkräftemangel gesprochen, als ob es was Objektives sei. Faktisch ist es objektiv so, dass man wenig Pflegekräfte bekommt, zum Teil auch Ärzte, Ärztinnen. Aber auch das ist hausgemacht.

Es gibt eine Umfrage aus Bremen, die hat Menschen befragt mit der Frage, „Ich würde wieder im Krankenhaus arbeiten, wenn…“, und die haben geantwortet, 300.000 Personen, „wenn es dort mehr Personal gäbe und ich meinen Job wieder so machen könnte, wie ich das mal gelernt habe professionell“. Das heißt, die Leute würden entweder von Teilzeit wieder hochgehen auf Vollzeit oder sie würden überhaupt wieder in diesen Beruf einsteigen, weil sie im Moment wo ganz anderes arbeiten. Daran sieht man, dass wie groß die quasi die Materialnot da ist.

Ja, also es ist gar nicht so sehr die Geldfrage, sondern es ist die Frage von den Arbeitsbedingungen.

 

Pia: Ja, also das kann ich auch so bestätigen, wenn ich mir angucke, warum verlassen meine Kolleg:innen irgendwann das Krankenhaus, sind das ziemlich genau diese Gründe. Gleichzeitig hört man häufig, dass es zu viele Krankenhäuser gäbe, dass das Gesundheitswesen zu teuer sei.

Kannst du dazu einmal sagen, wie die Reform das vielleicht verbessern möchte?

 

Nadja: Also wir haben in Deutschland im Moment aktuell ungefähr 1.700 Krankenhäuser. Das ist im europäischen Vergleich relativ viel. Aber diese Vergleiche sind immer hoch problematisch, weil wir da nicht einbeziehen, die anderen Sektoren des Gesundheitswesens.

In diesen anderen Ländern, nehmen wir zum Beispiel Dänemark, weil das ganz oft als Vorbild genommen wird, da gibt es eine ganz andere ambulante Versorgungsstruktur. Da gibt es Strukturen, die zwischen dem Krankenhaus und der ambulanten Struktur sind. Da gibt es eine staatliche Planung, wie Maximalversorger und Fachkrankenhäuser und kleinere und so weiter, wie das verteilt werden soll.

Das haben wir so alles nicht. Wir haben Landeskrankenhausplanung, aber wir haben kein staatliches Gesundheitswesen. Nehmen wir Schweden, nehmen wir andere Länder, da gibt es Primärversorgungszentren, ein Primärversorgungssystem, wo 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche Personal da ist, die geöffnet sind, wo es eine Notfallaufnahme gibt, wo es auch mal ein paar Betten gibt für eine Überwachung oder sowas.

Alles das haben wir nicht in Deutschland. Deshalb ist das schwierig, das so zu vergleichen. Und wir sehen ja im Moment, dass diese Krankenhäuser, die wir da alle haben, ganz gut besucht sind.

Die werden besucht, die laufen zum Teil über, die Leute liegen auf dem Flur. Das heißt, wenn man sich das so anguckt, gibt es einen Bedarf. Da würden jetzt die Ökonomen sagen, „Naja den Bedarf gibt es, weil es diese vielen Krankenhäuser gibt. Und wenn es weniger Krankenhäuser gibt, dann gibt es diesen Bedarf so nicht mehr.“ Also sozusagen ein angebotsgesteuertes Nachfragen. Da habe ich meine Zweifel dran. Wir argumentieren so, solange wir uns nicht erst mal anschauen, was der Bedarf ist -ist der Bedarf über diesen DRG-Mechanismus getriggert? Dann ist es teilweise ein falscher Anreiz. Oder ist es ein ernster, ein echter Bedarf? Das müsste man alles erst mal richtig erfassen. Und dann müsste man gucken, wo werden diese Leute am besten versorgt. Da könnte man auch viel ambulant machen. Das ist ein Inhalt der Reform, über die wir gleich reden. Und dann könnte man das besser organisieren. Das alles ist aber so nicht der Fall. Deshalb wäre ich sehr vorsichtig, einfach zu sagen, man kann hunderte Krankenhäuser schließen.

Also es gibt solche Milchmädchenrechnungen, die sagen, wir haben in Dänemark acht Millionen Einwohner mit 30 Krankenhäusern. Wir haben 80 Millionen, also reichen 300. So einfach kann man es sich nicht machen.

 

Pia: Ja. Und gleichzeitig hast du ja auch angesprochen, und das würde ich auch so sehen, dass es bestimmte Bereiche gibt, die laufen über. Und andere werden hochgezogen, die werden sehr gepusht. Wenn ich bei mir im Krankenhaus angucke, welche Fachabteilungen da welche OP-Zeiten die letzten Jahre bekommen haben, hat man da einen starken Wandel gesehen zu den Abteilungen, die eher profitabel sind für das Krankenhaus.

Weil natürlich das Krankenhaus sich danach auch ausrichten muss. Wenn jetzt nur solche Bereiche gefördert werden, wie beispielsweise die Gynäkologie, Geburtshilfe, Pädiatrie oder die Innere. Dann wird das Krankenhaus letztendlich den Bach runtergehen finanziell und schließen müssen. Insofern ist, denke ich, auch das, was du ganz am Anfang gesagt hast: wir brauchen eine Reform nicht wirklich zu diskutieren. Und das wird ja auch letztendlich wenig diskutiert, dass wir überhaupt eine Reform brauchen. Was aber viel diskutiert wird, ist, wie soll diese Reform aussehen und ist sie denn gut, ja oder nein? Und bevor wir uns das angucken können, ganz konkret, was sind vielleicht noch die Schwachstellen und was sind aber auch die positiven Dinge, die sie mit sich bringt, müssen wir erst mal verstehen, was ist denn genau diese Reform? Vielleicht kannst du uns mal so einen ganz groben Überblick geben, wie die Reform aussehen soll, welche Teile sie letztendlich beinhaltet.

 

Nadja: Wir haben das, was ich jetzt eben gesagt habe und so beschrieben habe, vom Krankenhaus statt Fabrik, vom Verein Demokratische Ärzt*innen, aber auch Verdi, wir haben das lange, lange so kritisiert, diese ökonomisierte Logik, die durch diese Finanzierung entstanden ist.

Jens Spahn hat als Gesundheitsminister gesagt, „Ich habe verstanden, euch Pflegekräfte, nachdem ihr jetzt so viel protestiert habt“, es gab ja viele Proteste, es gab Streiks und und und seit 2015. Und hat gesagt, „Wir nehmen die Pflege am Bett“, daran hört man schon den Kompromiss raus, nicht die gesamten Pflegekräfte, sondern nur die am Bett und so weiter, nehmen die raus aus den DRGs, wir rechnen die raus, das sind ungefähr 20 Prozent der Ausgaben und die Pflege am Bett wird bezahlt nach dem Selbstkostendeckungsprinzip. Das heißt, das Krankenhaus stellt Pflegekräfte an, die werden bezahlt, das Krankenhaus weist nach, was es für Pflegekräfte bezahlt hat und dieses Geld wird bezahlt. Wir waren da alle ganz von den Socken und die Krankenkassenvertreter haben gesagt, „die haben Drogen genommen, die waren betrunken und sowas“, als das durchkam.

 

Pia: (lacht) Also vielleicht auch noch mal kurz zum Kontext, das war noch als Jens Spahn Gesundheitsminister, was ja jetzt auch schon ein bisschen weg ist.

 

Nadja: Was ich ungern zugebe, dass Jens Spahn da wirklich was Richtiges und Gutes gemacht hat - könnt ihr euch vorstellen, weil das nicht mein politischer Freund ist - aber an der Stelle war das wirklich mal eine Kehrtwende um 180 Grad. Wir haben dann immer gesagt, alles muss über dieses Prinzip finanziert werden und dann würden die Krankenhäuser weniger ökonomisiert sein, das würde bedeuten, man kann keine Profite mehr machen und so weiter.

Diese Diskussion hat Karl Lauterbach dann in der Ampelkoalition aufgenommen und hat dann im Dezember 2022 angekündigt, eine Reform. Die hat eine Kommission eingesetzt, in der keine Lobbyvertreter von der Pharmaindustrie aber auch nicht von der Ärzt:innenschaft und den Krankenkassen und sowas drin sind, sondern es sollte eine wissenschaftliche Kommission sein - und hat quasi alle unsere Kritikpunkte, die wir immer formuliert haben, aufgenommen. Als sie das erste Papier vorgestellt haben für diese Reform, haben sie gesagt, „Ja, also die Ökonomisierung ist zu weit gegangen, das haben wir übertrieben, das haben wir nicht absehen können, dass diese Logik sich so verselbstständigt“. Sie haben dieses Feuerwehrbild benutzt, was wir immer benutzt haben und gesagt, „Stellt euch vor, die Feuerwehr wird nur bezahlt, wenn es brennt“. Krankenhäuser werden nur bezahlt, wenn sie Patient:innen haben. Das wäre doch verrückt. Daran hat man irgendwie gesehen, wie verrückt dieses Finanzierungssystem ist, hat man ja auch in Covid gemerkt, als leere Betten freigehalten werden mussten.

Also alle die kritischen Argumente sind aufgezählt worden und es ist angekündigt worden, erstens eine Entökonomisierung, eine Entbürokratisierung, eine Revolution ist teilweise angekündigt worden und die Aufhebung, die Aushebelung, die Abschwächung der DRGs. Alles das könnte man sagen, ja, sehr gut, genau das wollen wir. Und dann waren wir alle sehr gespannt, dann kamen mehrere Kommissionspapiere und das hat sich über ein, zwei Jahre hingezogen, den Prozess können wir uns sparen.

Die Idee ist jetzt folgende: wir haben gelernt aus Corona, haben die gesagt, man braucht im Krankenhaus Geld, um Strukturen und Personal vorzuhalten. Deshalb Vorhaltepauschalen.

 

Pia: Das ist genau das, was du jetzt gerade mit der Feuerwehr zeigen wolltest. Ein Kreißsaal, der braucht die Hebammen, egal ob fünf Geburten die Nacht sind oder gar keine.

 

Nadja: So, und die Feuerwehr muss da sein und die Schläuche müssen gewartet sein und die Maschinen und die Autos und die Menschen müssen ausgebildet sein und sich weiterbilden und die müssen da sein und dann kann das Feuer kommen oder eben auch nicht. So stellt man sich eine Vorhaltepauschale vor. Das würde eigentlich bedeuten, das Krankenhaus bekommt Geld für die Vorhaltung dieser Strukturen. Unabhängig von den Fallzahlen, weil das war auch eine Kritik, diese Ökonomisierung entlang der Fallzahlen. Das DRG-System zwingt dazu, Fallzahlen zu kreieren. Und diesen Mechanismus zu durchbrechen. Das war eine Idee. Und das wäre so bei Vorhaltepauschalen, die A- pauschal bezahlt würden - und die eben für die Vorhaltung der Strukturen und des Personals bezahlt würden. Das war das eine und das andere war, sie haben gesagt, diese Ökonomisierung hat dazu geführt - auch das haben wir uns vorher so nicht überlegt, dass das passieren könnte - dass alle Krankenhäuser alles machen. Das stimmt so nicht, aber es stimmt bedingt, dass auch kleinere Krankenhäuser manchmal Eingriffe machen, die sie vielleicht besser nicht machen würden und sowas, es gibt da so ein Qualitätsproblem bei manchen. Das ist alles sehr wenig erforscht und die These ist eher ins Blaue hinein besprochen, muss man dazu sagen. Die davon ausgehen, diese Gesundheitsökonomen Busse und Augurzky, dass in großen Krankenhäusern mit vielen Fallzahlen wird was gut gemacht und in kleinen Krankenhäusern mit kleinen Fallzahlen nicht. Das ist eigentlich die These. Groß ist gut, klein ist schlecht. Und für den Laien hat das ja eine gewisse Plausibilität. Wenn man sagt, naja Gott, wenn die da also irgendwie zwei Lebertransplantationen im Jahr machen, das ist vielleicht nicht so gut.

Das ist vielleicht besser, das bei einem Maximalversorger zu machen, die da mehr Erfahrung haben. Leuchtet unmittelbar ein. Leuchtet aber nicht für jedes Krankheitsbild ein.

Und da ist aber quasi von dem einen auf alle geschlossen worden und dann haben sie gesagt, deshalb müssen wir jetzt eine Qualitätsreform machen und müssen planerisch mehr eingreifen in das Krankenhausgeschehen und müssen dafür sorgen, dass Krankenhäuser bestimmte Qualitätskriterien erfüllen, damit sie jetzt nicht bestimmte DRGs machen dürfen, sondern eine Leistungsgruppe bekommen. Das ist also der zweite Reformvorschlag. Sie teilen jetzt diese 1400 DRGs, die es im Moment gibt, ein in Leistungsgruppen, also wo was gebündelt wird. Aber jede DRG muss da eindeutig zuordenbar sein. Und dann ist die Idee, dass die Länder sich ihre Krankenhäuser angucken und Zuweisungen machen können, welches Krankenhaus bekommt welche Leistungsgruppe. Und das ist gebunden an Qualitätskriterien von, da steht dann drin, wie viele Fachärzt:innen es braucht für diese Leistungsgruppe, was für Geräte müssen da sein und noch so ein paar Sachen.

Klingt auch erstmal sinnvoll. Natürlich gibt es da dann quasi im Hintergrund so eine Einteilung wieder in Maximalversorger und kleinere Krankenhäuser und so mittlere. Die Maximalversorger kriegen natürlich so gut wie alle Leistungsgruppen, kleinere Häuser nur bestimmte.

 

Pia: Ja, vielleicht kann ich das ja einmal so ein bisschen klarer machen. An sich, glaube ich, haben wir jetzt einen guten Überblick bekommen. Also das eine ist eben, dass wir sagen, wir gehen weg von dem DRG-System, was finanziert wird, nur nach „Person XY kommt“.

 

Nadja: Das wird behauptet. Es wird behauptet wir gehen weg, da komme ich gleich drauf.

 

Pia: Genau, wir ergänzen es, kann ich ja schon mal vorwegnehmen, also wir ergänzen es mit Vorhaltepauschalen, also dass bestimmte Strukturen einfach bezahlt werden, ohne die ein Krankenhaus diese Versorgung überhaupt nicht leisten oder anbieten kann.

Und das andere eben mit dieser Qualitätsverbesserung, die durch Leistungsgruppen kommen soll. Und um sich das vielleicht etwas besser vorstellen zu können, was heißt das eigentlich? Beispielsweise in Köln gibt es verschiedene Krankenhäuser für die Gynäkologie und dann sagt man, dass nicht alle Krankenhäuser in Köln, sollen jede Krebsentität, also jede Krebsart therapieren und Endometriose und Beckenboden und Brustkrebs. Also nicht jedes Krankenhaus, egal wo du hingehst, macht alles, sondern dass man sagt, okay, das Krankenhaus soll sich jetzt nur um den Gebärmutterkrebs kümmern und das Krankenhaus kümmert sich nur um den Brustkrebs und das Krankenhaus ist das Endometriosezentrum.

Sprich, dass das so ein bisschen zusammengefasst wird und dann aber andere Leistungen auch in diesem Krankenhaus überhaupt nicht mehr erbracht werden. So vielleicht als Beispiel, als kleiner Einschub. Was für mich, als ich das zuerst gehört habe, auch sehr positiv war. Also ich ganz persönlich fand sowohl die Vorhaltepauschalen oder finde sie immer noch ein gutes Konzept, dem entgegenzuwirken oder das nachzuadjustieren. Als auch wenn ich persönlich krank wäre, schaue ich mir auch an, wo kann ich vielleicht - beispielsweise im Umfeld, hatte ich jemanden, der eine Stammzellentransplantation brauchte - da habe ich schon ganz konkret geguckt, wo werden wie viele Stammzellentransplantationen in welchem Krankenhaus gemacht, weil es natürlich schon einen gewissen Erfahrungswert dann einfach mit sich bringt.

 

Nadja: Das klingt so erstmal ganz gut. Es stellt sich aber heraus, wenn man sich anguckt, wie sie das genau machen, dass alles das so nicht stimmt, würde ich jetzt mal sagen.

Das ist ein großer, großer Etikettenschwindel und die Fachpresse und die bürgerlichen Medien und die Öffentlichkeit, das war also medial ein großer Coup, das so verkaufen zu können, dass das als Qualitätsreform und sowas durchgeht. Wenn man sich das der Reihe nach anguckt: die Vorhaltepauschalen sind eben genau nicht das, was sie versprechen, sondern sie sind gebunden an die Fallzahlen und den Case-Mix vom letzten Jahr. Sie sind nicht unabhängig von den Fallzahlen, sondern es werden für die Vorhaltepauschalen nochmal 40 Prozent aus diesem DRG-Topf rausgenommen, so wie schon vorher für die Pflege die 20 Prozent. Und diese 40 Prozent werden quasi in einen Topf getan und dann wird das neu verteilt.

Es gibt also auch nicht mehr Geld, man müsste ja annehmen, dass gemessen an den jetzigen Strukturen, wenn man jetzt die Vorhaltekosten noch bezahlen wollte, zusätzlich zu dem, wie man die Patienten versorgt, dass es eigentlich mehr Geld bräuchte. Dem ist aber nicht so, sondern das wird nur umverteilt und zwar genau entlang der DRG-Fallzahlen vom Vorjahr.

 

Pia: Vielleicht kannst du noch einmal sagen, was das dann bedeutet, also was hilft es beziehungsweise was hilft es dann eben nicht?

 

 

Nadja: Das bedeutet, dass quasi die, die viele Fallzahlen gemacht haben, wieder mehr Geld bekommen und nicht die, die viele Vorhaltekosten haben.

 

Pia: Also vielleicht der Fehlversorgung in dem Sinne nicht zwingend entgegenwirkt, was so ein bisschen der eigentliche Ursprung war.

 

Nadja: Genau, die wird damit eigentlich fortgeführt. Aber nicht nur das. Sie haben, um dieses Qualitätsargument weiter zu forcieren, noch einen Mechanismus jetzt eingeführt, nämlich Mindestvorhaltezahlen zu haben. Und das heißt, Sie gucken sich eine Leistungsgruppe im Land an und dann wird geguckt, wie viele Fälle haben die Krankenhäuser in diesem Land, in dieser Leistungsgruppe. Und dann sagen Sie, und das hat überhaupt nichts mehr mit Qualität zu tun- die unteren 20 Prozent sind es im Moment in diesem Gesetz, da gibt es noch keine richtige Verordnung dafür, sondern das steht erstmal nur so im Gesetz - die unteren 20 Prozent, also sagen wir mal, wir haben ein Spektrum von, die meisten Fälle haben - ein Krankenhaus hat 1.000 Fälle und die kleinsten, die niedrigsten sind 10 Fälle - dann werden die untersten 20 Prozent, die Krankenhäuser mit den wenigsten Fällen, denen wird die Vergütung, die Vorhaltepauschale für diese Leistungsgruppe entzogen. Wenn sich das fortsetzt im nächsten Jahr, wird der nächsten 20 Prozent die Vergütung für diese Leistungsgruppe entzogen. Das heißt, wir haben auf der einen Seite ein Land, das sagt, wir weisen diese Leistungsgruppe diesem Krankenhaus zu. Das hat die Qualitätsvoraussetzung. Und wir haben einen Mechanismus, der vom Bund eingeführt wird, über diese Mindestvorhaltezahlen, die die Qualität sichern sollen. Der sagt, dafür kriegen die kein Geld mehr. Und das trifft Krankenhäuser, wo das völlig unabhängig davon ist, ob die eine gute oder eine schlechte Arbeit machen. Ob die zertifiziert sind, in irgendeinem Zentrum, in irgendeinem Netzwerk drin sind. Das sehen wir im Moment in Nordrhein-Westfalen, wo die Entwicklung ja schon weiter ist, weil in Nordrhein-Westfalen, die schon früher angefangen haben mit diesen ganzen Mechanismen, da werden plötzlich Leistungsgruppen entzogen, bei zertifizierten Zentren und so weiter. Das führt dazu, dass die Krankenhäuser, die wenig Fallzahlen haben, die also an dieser 20-Prozent-Grenze entlang agieren müssen in Zukunft, auf Gedeih und Verderb wieder Fallzahlen kreieren müssen, damit sie noch die Vergütung bekommen für diese Leistungsgruppen.

Das heißt, man hat wieder einen Anreiz, der fast noch schärfer ist als der von den DRGs. Und ansonsten hat man eine Bestrafung, diese Krankenhäuser werden dann nicht mehr vergütet für die Leistungsgruppen. Und das heißt, sie können die nicht mehr machen, weil 40 Prozent weniger Geld, das werden sie nicht aushalten.

 

Pia: Ich würde natürlich sehr gerne mit dir jetzt gleich darüber sprechen, könnten wir da noch eingreifen, wo ist da noch Handlungsspielraum, diese Reform in die Bahnen zu lenken, dass sie eben die Ursprünge, aus der sie kam, auch wirklich behebt, diese Probleme behebt. Aber ich möchte einmal noch, damit sich alle Leute wirklich so vorstellen können, was heißt das konkret jetzt, wie würde diese Reform aussehen in der Praxis? Vielleicht kannst du uns einmal noch sagen, wenn wir jetzt diese Reform einfach so laufen lassen, einmal zum einen, wann tritt sie in Kraft, wo bewegen wir uns da so zeitlich? Und dann, wenn ich jetzt Ärztin wäre oder Patientin, woran merke ich dann, dass die Krankenhausreform umgesetzt wurde?

 

Auswirkungen der Krankenhausreform – Von der Theorie zur Praxis

 

Nadja: Also die, in Kraft treten sollte sie schon jetzt, aber da gibt es dann so Übergangsphasen. Das ist jetzt nochmal verschoben worden, auf 2027 soll sie in Kraft treten. Ein Großteil der Regelungen, das ist jetzt nochmal weiter nach hinten geschoben worden. Also erst einmal müssen diese Leistungsgruppen noch fix zugeordnet werden. Da braucht es den Grouper, den das InEK, dieses Institut, das die DRGs weiterentwickelt schaffen muss.

Die Krankenhäuser müssen sich ausrichten darauf, welche Leistungsgruppen sie bekommen. Die Leistungsgruppen müssen überhaupt zugewiesen werden. In Nordrhein-Westfalen ist das schon passiert, in den anderen Bundesländern noch nicht.

In Nordrhein-Westfalen haben dann von 350 Krankenhäusern 330 geklagt. Das wird jetzt in den nächsten zwei Jahren passieren. Die Landeskrankenhauspläne müssen angepasst werden.

Bis spätestens September müssen die Länder die jeweiligen Leistungsgruppen den einzelnen Standorten vorläufig zuordnen. Dann werden die Qualitätskriterien geprüft. Das soll bis 2026 geschehen. Und ab 2027 Januar kommen die Leistungsgruppen und die Vorhaltevergütung in Anwendung.

Dazu braucht es aber noch ein paar Rechtsverordnungen. Und da gibt es quasi noch die Möglichkeit einzugreifen. Es muss sowohl geklärt werden, wie das mit diesen Mindestvorhaltezahlen geregelt werden soll. Das wird wahrscheinlich auch zustimmungspflichtig für den Bundesrat sein. Da könnte man nachher nochmal politisch eingreifen und sich nochmal genau angucken, wie diese Regelung sein soll, die total fatal ist.

Es müssen noch mehrere Momente geregelt werden, die bislang nur im Gesetz stehen, aber die ja noch eine Umsetzungslogik brauchen. Der Zweck dieser Reform ist offen formuliert, der Zweck dieser Reform ist - und das wird wahrscheinlich auch so kommen, so sehen wir das - dass Hunderte Krankenhäuser geschlossen werden. Das ist der Plan.

 

Pia: Wobei man natürlich auch sagen muss, ohne Reform würde das genauso passieren, ist meine Wahrnehmung. Mein Krankenhaus beispielsweise hatte jetzt schon die Insolvenz angemeldet, wurde nochmal unterstützt von der Stadt Köln. Aber man muss auch sagen, das würde auch ohne diese Reform aufgrund dieses Kostendrucks höchstwahrscheinlich ähnlich passieren.

 

Nadja: Genau, und da sagen die, dann machen wir das lieber geordnet als wild. So geordnet ist das aber unseres Erachtens nicht, weil es nicht erstmal eine richtige Bedarfsermittlung gibt. Die Landeskrankenhausplanung ist den Namen nicht mehr wert, da wird nicht mehr viel geplant, sondern eigentlich nur noch Geld verteilt.

Weder ist der Bedarf ordentlich ermittelt, noch ist überhaupt mal erfasst, was es wo gibt - und qualitativ gut. Sondern es wird jetzt über diesen Mechanismus, den ich gerade geschildert habe, werden da massenhaft Krankenhäuser schließen, und es wird zu einer Zentralisierung kommen, wie du sie vorhin ja auch schon beschrieben hast, für die Gyn. Das ist der Plan, und ich denke, wir müssen uns darauf einstellen, dass es gerade in der Provinz auf dem Land zu großen Krankenhausschließungen kommt.

Da hat jetzt der Koalitionsvertrag nochmal gesagt, es gibt wieder Ausnahmeregelungen, wo die Länder sagen können, also das Krankenhaus hier ist so wichtig, das können wir nicht schließen, auch wenn es diesen Kriterien im Moment nicht entspricht. Wir müssen das jetzt erst mal am Netz halten. Da haben die Länder jetzt ein bisschen mehr Spielraum bekommen dafür.

Aber letztlich werden wir das erleben, eine große Krankenhausschließung.

 

Pia: Genau, also das wird letztendlich der eine Punkt ja sein. Also als Patientin, ich habe potenziell einen längeren Anfahrtsweg, je nachdem, wo ich wohne. Die Krankenhäuser, in die ich gehe, sind potenziell größer. Also haben mehr Abteilungen, größere Fallzahlen,  gegebenenfalls eine größere Spezialisierung. Was bedeutet das so für das Klinikpersonal? Also wie ändert sich das für mich als Ärztin?

 

Auswirkungen der Reform: Klinikpersonal zwischen Hoffnung und Realität

 

Nadja: Also für das Klinikpersonal heißt es, die Ökonomen sagen, wenn wir weniger Krankenhäuser haben und dieselbe Anzahl Personal, dann geht dieses Personal aus den geschlossenen Krankenhäusern in die noch offenen Krankenhäuser.

Und das heißt, wir haben dann mehr Personal. Das ist aber nicht mit dem Personal abgesprochen. Das stellt sich der Ökonom so vor, dass man diese Kohorte von Pflegekräften vom Krankenhaus A nach Krankenhaus B schieben kann.

Das kann aber auch gut sein, dass diejenigen, wo das Krankenhaus geschlossen wird, sagen, „Nö, mir reicht es jetzt, ich gehe ganz raus aus diesem Sektor“. Also das heißt, es ist überhaupt nicht gesagt, dass es da mehr Personal gibt. Es gibt im Moment meines Wissens keine Pläne, die Krankenhäuser, die übrig bleiben, dann auszubauen. Die müssten ja dann irgendwie größer werden, wenn diese selben Patientenzahlen da hinkommen. In Nordrhein-Westfalen war ich jetzt gerade am Montag in einer Zoom-Konferenz. Da erzählen die schon, dass das schon anfängt, dass die Patientenzahlen da steigen, bei denen, die da übrig bleiben werden. Die sagen ja auch, es soll ambulantisiert werden. Circa 15 bis 20 Prozent der Leistungen sollen ambulantisiert werden. Es gibt nirgends Pläne, welche ambulanten Strukturen diese Patientenzahlen aufnehmen sollen.

 

Pia: Ja, vielleicht können wir auch darüber noch einmal sprechen, weil das ist ja auch, also wir haben jetzt so ein bisschen über das ganz grobe Konstrukt der Krankenhausreform gesprochen, jetzt nicht jedes Detail vielleicht beleuchtet, was das beinhaltet. Und eins wäre ja auch, ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wie man das ausspricht, Krankenhauslevel 1i.

Vielleicht kannst du einmal sagen, was da dahinter steckt, weil das soll ja so ein bisschen, das hatten wir vorhin einmal kurz angesprochen, im Vergleich zu Dänemark sind die Krankenhäuser in Deutschland eben sehr stark separiert von der ambulanten Versorgung, sehr stark eingeteilt. Und wir hatten beispielsweise ja auch mal eine Folge mit ‚Hospital at Home‘, einem Konzept aus der Schweiz, was eben auch versucht, die Lücke so ein bisschen zu schließen in der Form, dass vielleicht nicht jede Patientin, jeder Patient, der im Krankenhaus auch behandelt wird, wirklich ins Krankenhaus gehört. Also diese ganze umfassende Betreuung, die ein Krankenhaus bietet, auch braucht, aber vielleicht eine intravenöse Therapie braucht und die kriegt man nicht beim Hausarzt zu.

Also es gibt ja auch Dinge, wo man sagt, das würde auch gewisse Kapazitäten wieder schaffen. Das ist, glaube ich, auch ein großer Punkt, wo die Leute, die die Reform mitgewirkt haben, gesagt haben, das sind Betten, die würden wir frei bekommen, wenn wir für solche Patient:innen, für solche Therapieformen eine Lösung finden. Vielleicht können wir das noch einmal besprechen.

 

Nadja: Die Leute, die das beklagen, sind dieselben, die die DRG-Logik eingeführt haben, die dazu geführt hat, dass solche Leute alle in Deutschland im Krankenhaus landen.

 

Pia: Genau, weil ein Krankenhaus kriegt mehr Geld dafür, wenn man eine Person aufnimmt, als wenn man sagt, man macht das, macht die minimale Therapie und schickt die Person wieder nach Hause.

 

Nadja: Genau. Das ist die Bezahllogik im deutschen Krankenhaus und deshalb sind die Zahlen von der Notaufnahme im Krankenhaus dann in stationär aufgenommenen Patienten drastisch gestiegen, in dem Moment, wo die DRG eingeführt worden sind.

Also müsste man ja an dieser Logik was drehen. Die bleibt übrigens zu 40 Prozent sowieso erhalten, die DRG-Logik. Die wird ja nicht völlig durch die Vorhaltekosten aufgehoben, sondern 40 Prozent wird nach wie vor über DRGs abgerechnet.

Der ganze Mechanismus ist ja noch da, das kommt noch dazu. Aber natürlich ist es sinnvoll, was ambulant zu machen geht, ambulant zu machen. Völlig klar.

Das muss aber an anderen Kriterien hängen als an ökonomischen. Da müssen auch soziale Kriterien eine Rolle spielen. Ich kann wahrscheinlich was ambulant machen als noch halbwegs junger Mensch. Anders als meine 90-jährige Freundin, die nicht jeden Tag ins Krankenhaus gehen kann, um sich kurz eine Infusion machen zu lassen und wieder nach Hause zu gehen. Solche Kriterien müssten da ja eine Rolle spielen. Zu diesem Zweck haben sie jetzt gesagt, wir schließen nicht nur die Krankenhäuser, sondern einen Teil der Krankenhäuser, die kleinen, die können wir umwandeln in sektorübergreifende Versorgungseinrichtungen.

Die waren in diesem ersten Kommissionspapier waren das diese Level 1i-Krankenhäuser. Also Level 1 war das kleinste Level. Das waren Krankenhäuser, die nur ganz wenig Leistungsgruppen bedienen sollten. Da gab es Level 1n und 1i. 1n war mit Notaufnahme, 1i ohne. Das sind Einrichtungen, die ambulante Leistungen machen können, aufgrund einer Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung. Also ein Teil dessen machen sollen, was die Kassenärztliche Vereinigung, die Kassenärzte im ambulanten Bereich machen. Sie können ambulant operieren und wenige Leistungen stationär erbringen, also ganz wenige Leistungsgruppen, und so etwas wie Übergangspflege oder Kurzzeitpflege anbieten. Das ist immerhin etwas, bevor man gar nichts hat.

Aber ich würde das nicht feiern als den Einstieg in die sektorübergreifende Primärversorgung, weil das ist es nicht.

 

Pia: Also mit sektorübergreifend meinen wir jetzt stationär und ambulant.

 

Nadja: Eine sinnvolle Kooperation zwischen den beiden Sektoren, das alles ist es so nicht.

Das ist ja nicht wirklich geplant. Würde ich jetzt sagen, ich entwerfe ein Gesundheitssystem vom Reißbrett her, dann würde ich mir ja überlegen, welche Bedarfe gibt es, und würde nicht ambulant und stationär erstmal trennen, sondern würde gucken, welche Bedarfe brauchen welche Versorgungseinrichtungen und würde Primärversorgungssysteme einrichten, das sich an den sozialen Determinanten in der Bevölkerung orientiert und und und. Dann würde man den Ort genau aussuchen, wo sowas hinkommen soll und wo der ÖPNV entsprechend da ist und und und.

Alles das ist es ja nicht. Das sind einfach Krankenhäuser, die übrig geblieben sind und die, bevor sie geschlossen werden, umfunktioniert werden in sowas. Das ist besser als gar nichts.

Aber das ist nicht die Lösung des Problems, dass die alles das abfangen können werden, was 20 Prozent der Krankenhausleistungen war.

 

Pia: Ich denke, es ist natürlich daraus gewachsen. Und ich war sehr optimistisch, dass es jetzt überhaupt eine Reform gibt, weil ich die letzten 20 Jahre davor auch als ziemlich Stillstand wahrgenommen habe. Und es schreitet immer weiter voran, immer weiter diese Fehlanreize, wie sich die Versorgung ausrichtet, welche Abteilungen hochgezogen werden, welche untergehen, weil eben der Kostendruck für bestimmte Abteilungen dann viel zu groß wurde. Und man natürlich dann in einer Politik, in einer Koalition auch gucken muss, was ist überhaupt machbar und vielleicht nicht. So wie du das gerade beschrieben hast, dass aktuell, gerade wenn man sich das Politische anguckt, in welche Richtung wir uns vielleicht politisch so bewegen, realistisch scheint, dass wir eben so eine Bedarfsorientierung machen und sagen, okay, wir planen es von Grund auf neu und richten uns nur daran, das sehe ich jetzt persönlich nicht so richtig kommen, dass wir dorthin gehen, aber wir können ja auch gleich noch ein bisschen träumen.

Vielleicht aber jetzt mal realistisch gesprochen, welche Ansätze gäbe es denn ganz konkret zu sagen, die Reform haben wir, sie wird auch kommen, sie ist an sich auch notwendig, sie hatte gute Ansätze, also diese erste Kommission, von der du gesprochen hast, hat ja auch erkannt, welche Probleme gibt es und wie könnten wir diese lösen. Jetzt sind sie aber so ein bisschen aufgeweicht worden in der Art, wie sie dann tatsächlich greifen sollen. Wo würdest du sagen, gibt es noch konkrete Ansätze, wie könnten wir die Reform noch wirklich visionär machen und welche Spielräume haben wir da noch?

 

Vision verpasst? Kritik und Risiken der Reform

 

Nadja: Keine. Also das würde ich sagen, diese Reform gar nicht. Ich würde es auch ein bisschen anders beschreiben. Diese Kommission hat nur verbal reagiert auf die Kritik.

Was sie inhaltlich gemacht hat, war das Gegenteil von dem, was sie da erkannt hat. Meines Erachtens wird das eine Katastrophe werden, diese Reform. Ich sehe da wenig Spielräume für etwas Besseres. Das kann ich mir unter den Rahmenbedingungen und in dem, was da jetzt gedacht ist, nicht vorstellen.

 

Pia: Ich hatte so ein bisschen dieses, was du am Anfang gesagt hast, dass eben ja eigentlich die Vorhaltepauschalen ein gutes Konzept wären, wenn man sie am Bedarf orientiert und nicht an den Fallzahlen, die wir im letzten Jahr rekrutiert hatten.

 

Nadja: Das sind aber keine Vorhaltepauschalen. Im Gegenteil, im Moment wird sogar diskutiert, diese Regelung für die Pflege, nämlich die Pflege nach Selbstkostendeckungsprinzip zu bezahlen, das ist jetzt schon mehrfach angegriffen worden, von dem Herrn Augurzky auch, vor zwei Wochen wieder. Es geht eher dahin, auch diesen Schritt wieder zurückzunehmen und das in die Vorhaltepauschalen zu packen. Das ist ein bisschen auch angelegt in dem Gesetz. Und nicht umgekehrt den Weg zu gehen, in die Vorhaltepauschalen tatsächlich zu einem Selbstkostendeckungsprinzip zu machen. Das wäre die richtige Richtung, zu sagen, wir nehmen erst mal das ganze Personal in Form von Selbstkostendeckung und wir machen eine richtige Vorhaltepauschale. Wir bezahlen das, was an Vorhaltekosten entsteht.

Auch Selbstkostendeckung war am Anfang tatsächlich, zumindest im Gespräch, da hat man gemerkt, dass die nicht drumherum kommen, darüber reden zu müssen. Das wäre vor drei, vier Jahren undenkbar, vor fünf Jahren undenkbar gewesen. Da hätten die gesagt, das ist alles verrückt.

 

Jetzt müssen sie es abwehren zumindest, aber es geht alles in die andere Richtung im Moment. Und ich kann da nichts Positives im Moment erkennen. Es hat dringenden Reformen gebraucht, aber die, so wie es jetzt ist - also wir haben bis zum Schluss eher versucht, dafür zu kämpfen, dass die verhindert wird.

Völlig richtig, dann wäre der alte Prozess so erst mal weitergegangen und das würde auch zu Schließungen führen, weil der Kostendruck so hoch ist. Es gibt jetzt noch vier Milliarden zusätzlich, die sind im Koalitionsvertrag da nochmal nachverhandelt worden. Das wird die Krankenhäuser aber nicht retten.

Die Frage ist, entweder gibt man denen mehr Geld oder organisiert man es um, dass bestimmte Gelder eben nicht mehr bezahlt werden müssen, wie zum Beispiel Profite. Fast 40 Prozent private Krankenhäuser, die Profitinteressen bedienen müssen, das könnte man eigentlich sich sparen. Das ist eigentlich auch zweckwidrig.

Das ist auch nochmal ein Moment, fällt mir gerade ein, diese Vorhaltepauschalen hätte man zumindest auch an einen Zweck binden müssen. Das würde ja eine Vorhaltepauschale ausmachen. Der Zweck ist, etwas vorzuhalten. Aus diesen Vorhaltepauschalen können genauso Profite bedient werden, wie aus den DRGs.

 

Pia: Also vielleicht einmal, um das etwas verständlicher zu machen, das Krankenhaus kriegt halt von irgendwo Geld. Aktuell sind es die DRGs über die Krankenkassen für die Patient:innen, die sie behandeln mit ihren jeweiligen Diagnosen und machen damit aber alles, von Personalkosten über Anschaffungen, über „ich renoviere das Krankenhaus“, über wie auch immer.

Insofern ist es halt ein „ich kriege irgendwoher Geld und haushalte damit und versuche mein Krankenhaus zu bewirtschaften“. Das ist das, was du sagst, dass diese Vorhaltepauschalen ja eben von der Idee gedacht waren, zu sagen, „ich mache es möglich, dass hier diese Notaufnahme, dieser Kreißsaal, diese Kinderklinik sich finanzieren kann“. Und nicht, ich benutze das Geld dann für potenziell andere Dinge, die eben sehr vielfältig sein können.

 

Nadja: Von dieser Kommission und von dieser Regierung waren die nie so gedacht. Sondern von jemandem, der das Wort hört, der denkt es so. Die haben das nie so, von Anfang an haben die das nicht so gedacht, sondern die haben das Wort benutzt, um zu sagen, wir haben gelernt aus Corona-Zeiten und so weiter.

Aber die haben immer was ganz anderes eigentlich damit gewollt. Sie haben das nie so gedacht. Da ist nichts verwässert worden, sondern es ist von Anfang an anders konzipiert worden. Die Wörter, die benutzt werden, verschleiern das oder führen uns auf den falschen Pfad. Das ist eher so der Punkt.

 

Pia: Siehst du die Krankenhausreform noch scheitern?

 

Nadja: Nee, sehe ich im Moment nicht. Ich sehe einen Widerspruch, den es gibt, aber der wird nicht offen ausgetragen. Das ist der zur Militarisierung des Gesundheitswesens. Das ist ja auch in vollem Gange. Und da gibt es Stimmen aus der Bundeswehr zum Beispiel, die sagen, wir brauchen eigentlich mehr Bettenstand jetzt und nicht weniger. Wir werden 2030 Krieg haben. Da wird es 1.000 Patienten am Tag geben und wir brauchen mindestens 10.000 Betten mehr. Das steht im Widerspruch zu der Überlegung, Krankenhäuser zu schließen. Oder es steht nicht im Widerspruch, wenn völlig klar ist, dass dann die Versorgung der Zivilbevölkerung drastisch gesenkt werden wird, wenn quasi die militärischen Zwecke priorisiert werden, wenn dann Soldaten den Vorrang haben. Da gibt es auch schon viele Papiere dazu, die das schon diskutieren und sagen, „Das müssen wir der Bevölkerung beibringen, dass das so kommen wird“. Also da könnte es noch einmal einen Widerspruch geben. Da wird offen an Herrn Lauterbach appelliert in diesen Papieren. Überlegen Sie sich das mit der Reform, wenn das zu Schließungen führt. Wir brauchen die Betten an anderer Stelle. Aber ich sehe im Moment nicht, dass an dieser Reform irgendwas gerüttelt wird.

 

Pia: Mhm. Ich bin ja von Haus aus Optimistin. Deswegen fällt es mir schwierig, diese Folge jetzt so abzuschließen. Mit diesem leicht pessimistischen Blick darauf, wohin die Krankenhausgesellschaften oder Krankenhauslandschaft so steuert. Vielleicht kannst du noch einmal sagen, wenn du die Krankenhausreform umstricken könntest, wenn wir doch noch Handlungsspielraum irgendwo erkennen könnten.

Was wäre da deine Utopie? Wie könnte man es besser machen? Das sind natürlich Zeiten, die vielleicht gerade viele Leute globalpolitisch pessimistisch stimmen. Aber natürlich vielleicht auf der anderen Seite auch Zeiten, wo viel passiert, was vorher auch nicht so denkbar gewesen ist.

 

Von Profit zu Bedarf: Wie ein solidarisches Gesundheitssystem aussehen könnte

 

Nadja: Unbedingt. Wir brauchen auch eine Erzählung, wie man es anders machen kann, völlig klar. Ich würde erstens mal sagen, dass kein Geld da ist, kann man nicht sagen, weil es wird jetzt so viel Geld für Rüstung ausgegeben. Das müsste man bekämpfen. Und dann kann man das Geld für was anderes ausgeben. Dann könnte eine Bürger:innenversicherung, eine solidarische, machen. Dann gäbe es keine Geldprobleme im Gesundheitswesen.

Es gibt genug Reichtum in diesem Land, den man für die Beitragsbemessung eben auch heranziehen müsste. Aber, es muss auch nicht Geld zum Fenster rausgeworfen werden. Man könnte sich überlegen, dass man eine demokratische Bedarfsplanung macht und guckt, wo brauchen wir welche Strukturen. Man könnte sagen, wir bezahlen die nach dem Vorbild von Jens Spahn. Wie die Pflege da bezahlt wird, nach einem Selbstkostendeckungsprinzip, wo genau kontrolliert wird natürlich, damit es da auch keine Verschwendung gibt. Und wir bezahlen das, was gemacht werden muss, was vorgehalten werden muss, das bezahlt man.

Dann ist das Geld zweckgebunden. Dann könnte daraus keine Gewinne abgeführt werden. Das heißt, der ganze Markt, wie das heute heißt, würde für die privaten Träger eher uninteressant werden, wenn man da keine Gewinne mehr rausziehen kann.

Und man könnte das quasi dann zurückführen in ein öffentlich frei gemeinnütziges, auf jeden Fall Non-Profit-System, wie es das in vielen europäischen Ländern gibt. Das ist keine sozialistische Revolution, sondern das gibt es in der EU, in Österreich, in Dänemark, gibt es ein staatliches Gesundheitswesen ohne private Unternehmungen. Das könnte man alles zurückdrehen, meines Erachtens.

Man könnte und müsste Personalquoten einführen, nicht nur für die Pflegekräfte, auch für die Ärzt:innen, für die MTAs, für die anderen, für alle Berufsgruppen in den Krankenhäusern, um zu sagen, wir brauchen so und so viel Personal für die Anzahl von Patient:innen, für die Tätigkeiten, die da anfangen. Ich bin mir sogar nicht mal sicher, ob das so viel teurer werden würde wie das jetzige System, weil man ja auch Überversorgung und sowas vermeiden würde. Man könnte dann ganz anders ambulantisieren, wenn man auch die ambulanten Strukturen entsprechend bedarfsgerecht organisieren würde, sodass das gar nicht unbedingt so viel teurer werden müsste.

Es wäre nur besser an den Bedarfen orientiert organisiert und dann könnte man innerhalb der EU und innerhalb des Kapitalismus von mir aus, auch ein anderes Gesundheitssystem haben, das sehr viel besser für die Patient:innen und die Beschäftigten und ihre Arbeitsbedingungen wäre als das, was wir da jetzt haben.

Das war einfach ein mutloser Versuch, in dieser Reform nochmal den Markt und die Profite zu retten, anstatt zu sagen, spätestens Corona hat uns gezeigt, so geht das nicht weiter, das müssen wir anders machen.

 

Pia: Ich denke, wir bleiben auf jeden Fall weiter für euch als Heilewelt-Podcast auf der Suche nach positiven Lösungen und Ideen.

Gerade habe ich heute wirklich daran gedacht, Hospital at Home wäre eben so ein Konzept, was vielleicht gewisse Lücken schließt. Ich denke, davon brauchen wir ganz viele. Ich hoffe, das war jetzt hier ein guter Rundumschlag, um ein bisschen mitreden zu können, um ein bisschen zu verstehen, worum es eigentlich geht und vielleicht auch so die Kritikpunkte besser nachvollziehen zu können und da einzuhaken.

Insofern hoffe ich, dass es nicht alle Leute demotiviert zurücklässt, sondern eher quasi die Menschen motiviert jetzt auch zu sagen, okay, es gibt noch Nachjustierungsbedarf und wir brauchen noch viele weitere Dinge, damit das System sich etwas verbessert. Vielen Dank dir, liebe Nadja, für den ganzen Einblick. Du warst ja jetzt schon das zweite Mal hier im Podcast.

Wenn ihr also noch mal, ich sage mal, eine deutlich ausführlichere Folge zur Ökonomisierung hören wollt, ist schon ein bisschen älter, aber könnt ihr gerne auch noch mal in unsere ersteren, ich weiß gar nicht welche, aber die ersteren Folgen reinhören. Da war Nadja auch schon mal bei Madeleine zu Gast. Vielen Dank dir für deine Zeit und deinen Einblick heute.

 

(Outromusik beginnt und wird langsam lauter)

 

Nadja: Gerne, immer gerne. Und danke für eure schöne Arbeit, die ihr da macht, die so gut und nützlich ist.

 

Pia: (lacht) Vielen Dank. Das war Heilewelt, der Podcast über positive Zukunftsvisionen in der Medizin. Vielen Dank euch fürs Zuhören. Wenn wir euch ein bisschen inspirieren konnten, freuen wir uns über eure finanzielle Unterstützung auf unserer Website oder auch eine Bewertung auf eurem Podcast-Plattformen.

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