Schwer krank und trotzdem in den eigenen vier Wänden?! Dr. Kilian Brändle über Hospital at Home
Krankenhausstress, Fachkräftemangel und ein überlastetes Gesundheitssystem – braucht es ganz neue Versorgungsmodelle? Im Podcast „Heilewelt“ spricht Dr. Pia Schüler mit Dr. Kilian Brändle über das Projekt Hospital at Home, bei dem Patient*innen medizinisch zuhause betreut werden. Es geht um innovative Wege in der Patientenversorgung, strukturelle Herausforderungen und die Frage, wie Menschlichkeit und Effizienz in der Medizin zusammenfinden können.
(Intromusik im Hintergrund)
Pia: Hi, willkommen zu einer neuen Folge von Heilewelt, dem Podcast über positive Zukunftsvisionen in der Medizin. Ich bin Pia, Ärztin und spreche hier mit den Menschen, die die Medizin nicht nur verbessern möchten, sondern es bereits tun. In unseren Gesprächen tauchen wir in die Welt medizinischer Vorreiter:innen ein und hören, für welche Visionen sie brennen.
Stellt euch eine Welt vor, in der wenn du vielleicht mal ziemlich krank wirst, die medizinische Versorgung von einem Krankenhaus benötigst, du aber trotzdem zu Hause in deinem gewohnten Umfeld bleiben kannst und die Ärzt:innen und Pflegenden zu dir nach Hause kommen und dich versorgen. Du fühlst dich so viel besser, weil du in deinem gewohnten Umfeld bleiben kannst, kannst zum Beispiel viel besser schlafen und hast weiterhin deine Privatsphäre und Autonomie. An dieser, oder besser gesagt in dieser heileren Welt, arbeitet Dr. Kilian Brändle.
Kilian ist selbst Facharzt für Innere Medizin und ärztlicher Leiter des Projekts ‚Hospital at Home‘, was im Raum Zürich in der Schweiz bislang 260 Patient:innen, die eigentlich eine stationäre Behandlung bräuchten, zu Hause versorgt hat. Ich habe mit Kilian in dieser Folge darüber gesprochen, welche Vorteile dieses Konzept sowohl für jede Patient:in als auch für unsere Gesellschaft allgemein bringen kann, wieso ein Tag für eine Ärzt:in konkret eigentlich so abläuft, beziehungsweise für welche Patient:innen das Konzept sich auszahlt, aber auch darüber, wie sich das Konzept wie ‚Hospital at Home‘ in die Gesundheitsversorgung langfristig integrieren kann und welche Hürden sie dafür noch überwinden müssen. Ich fand es wieder sehr ermutigend, wie Hospital at Home in den Lücken in der Gesundheitsversorgung ansetzt und sie mit ihrem Konzept sehr menschenwürdig auf kleiner Ebene stopft.
Und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass solche Konzepte, wie Kilian sagt, in 20 Jahren genauso dazugehören wie unsere aktuelle Versorgung in Krankenhäusern oder Arztpraxen. Erst recht, wenn sie von so ruhigen, pragmatischen und erfahrenen Gesundheitsarbeiter:innen wie Kilian vorangetrieben und betreut werden.
Hi Kilian, schön, dass du da bist. Wie war dein Tag bisher? Wo treffe ich dich gerade so?
Kilian: Hi Pia, vielen Dank für die Einladung. Du triffst mich jetzt gerade in unserem kleinen Büro, in unserer Leitstelle, in unserer Zentrale der Hospital at Home AG. Von hier aus steuern wir eigentlich alles, was die Hospital at Home AG so macht.
Pia: Man hört es schon ein ganz bisschen an deinem Akzent vielleicht. Wo seid ihr da konkret?
Kilian: Wir sind in Zürich in der Schweiz, konkret in Zollikon. Das ist eine kleine Gemeinde bei Zürich.
Pia: Sehr cool. Ja, super. Ich würde direkt einmal starten wollen, wie ihr euch eigentlich gegründet habt oder wie ihr dazu gekommen seid? Wie hat das angefangen? Weil inzwischen seid ihr schon ziemlich etabliert. Aber wie ist man eigentlich auf diese Idee gekommen?
Risiken und Herausforderungen im Krankenhaus- Wer profitiert von Hospital at Home?
Kilian: Ja, die Idee Hospital at Home ist ja nicht ganz neu. In vielen Ländern wird das ja schon seit Jahrzehnten praktiziert, insbesondere in den USA. In der Schweiz gibt es das noch nicht so lange, erst ein paar Jahre. Unser Verwaltungsratspräsident ist der Dr. Abraham Licht. Er hat das schon vor mehreren Jahren politisch auch angebracht, dass man das machen sollte oder machen müsste - auch in der Schweiz, Hospital at Home.
Und mit Covid, mit der Pandemie kam das dann auf, dass auch die Gesundheitsdirektion und der Kanton Zürich das gepusht haben und machen wollten. Das hat dann auch mal ein paar Jahre gedauert. Und dann schlussendlich 2022 hat man dann die ‚Hospital at Home AG‘ gegründet. Und 2023 hatten wir dann die ersten Patienten operativ versorgt.
Pia: Ja, damit seid ihr jetzt Deutschland ein bisschen voraus. Nichtsdestotrotz hast du gerade gesagt, das gibt es auch schon in anderen Ländern. Da würde ich auf jeden Fall gerne noch später drüber sprechen auch, weil das Ganze ja jetzt auch schon gut erprobt ist. Vielleicht kannst du aber mal für alle noch zu Beginn sagen, was denn eigentlich das Problem von stationären Aufenthalten sein kann? Warum hat es sich eigentlich ergeben, dass es Sinn macht, Leute zu Hause zu behandeln?
Kilian: Ich glaube, jeder, der schon mal stationär auf einer Inneren Medizin oder in einer Inneren Medizin gearbeitet hat, kennt das Problem, dass Patienten nicht unbedingt am besten Ort sind, wenn sie im Spital sind. Nicht, weil sie da nicht die richtige Pflege oder Betreuung bekommen, aber weil sie halt Komplikationen haben, weil sie häufig nur im Bett liegen die ganze Zeit, sich nicht bewegen oder weniger bewegen, weil sie von ihren Angehörigen getrennt sind und nicht in der gewohnten Umgebung sind.
Das ist vor allem bei geriatrischen Patienten häufig ein Problem. Stichwort Delir.
Ich glaube, da gibt es verschiedene Gründe, diese Patienten nicht im Spital betreuen zu wollen. Gemäß Studien kann man davon ausgehen, dass 10 bis 30 Prozent der Patienten, die aktuell im Spital regulär hospitalisiert sind, eigentlich zu Hause betreut werden können.
Pia: Man kennt das ja auch, dass gerade ältere Patient:innen immer sagen, sie wollen eigentlich gar nicht ins Krankenhaus, weil sie Sorge haben, dass sie überhaupt wieder da herauskommen. Sprich, ihr Gesundheitszustand sich eher verschlechtert als verbessert.
Das ist natürlich ein bisschen drastisch formuliert. Hast du trotzdem nochmal konkrete Beispiele, wo man sagen kann, jetzt hast du es ein bisschen allgemein gefasst, die wirklich einfach schlecht laufen im Krankenhaus bzw. für solche Leute ein richtiges Problem darstellen?
Kilian: Ja, der klassische Fall, der im Spital wahrscheinlich nicht besser kommt, ist der geriatrische, kognitiv schon leicht eingeschränkte Patient.
Pia: Also sehr hochbetagte oder ältere Patient:innen?
Kilian: Der dann irgendein akutes medizinisches Problem hat, vielleicht einen Infekt, dann vier bis sechs Stunden im Notfall ist, dort schon leicht delirant wird und dann auf Station geht. Das heißt, er hatte zwei Relokalisationen innerhalb kürzester Zeit, also Ortverschiebungen, die ihn wahrscheinlich noch mehr verwirren. Und dann kommt es zu einem voll ausgeprägten Delir.
Das Delir ist, wie man weiß, assoziiert mit höherem Risiko von Rehospitalisationen und auch erhöhter Mortalität. Also man setzt diese Patienten, diese spezifischen Patienten gut einem erhöhten Risiko aus, wenn man sie hospitalisiert. Natürlich kann nicht jeder Patient, der ein akutes Problem hat, zu Hause therapiert werden. Das ist schon so. Aber für die spezifische Patientengruppe, die wir zu Hause behandeln können, für die kann das ein Vorteil sein, wenn sie eben nicht aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen werden und im Notfall behandelt werden und dann auf Station.
Pia: Und welche Zielgruppe habt ihr da konkret im Blick? Also sind das vor allem die Älteren, wie du jetzt gerade gesagt hast, die vielleicht wirklich stark davon profitieren, wenn die Umgebung sich nicht wechselt, oder sind es vielleicht auch die total jungen, die eigentlich auch sagen, ich brauche nur die und die Therapie, aber ansonsten muss ich gerade eigentlich nicht im Krankenhaus liegen? Was sind so eure typischen Patient:innen, auf die ihr abzielt?
Kilian: Wir haben eigentlich keine konkrete Patientengruppe definiert im Sinne von Alter oder Gebrechen. Wir sind, wenn man unsere Patientengruppe anschaut, die wir behandeln, dann ist das so ein Spiegel der klassischen internistischen Station. Also wir haben von 16- bis 103-jährig bis jetzt therapiert. Natürlich sind die meisten davon über 65, was auch einer klassischen internistischen Station entspricht. Was unsere Definition ist, ist mehr, dass die Patienten, soweit sie bisher waren, selbstständig sein müssen. Das heißt, wenn sie bisher ‚Spitex‘ oder Pflege zu Hause hatten, dann muss das auch weiterhin so funktionieren, weil wir keine Grundpflege übernehmen.
Wir übernehmen die medizinische Betreuung, die akute medizinische Betreuung und können auch Grundpflege organisieren, aber wir übernehmen sie selber nicht. Das heißt, der Patient muss in seinem gewohnten Rahmen selbstständig zu Hause sein.
Pia: Heißt auch, dass das eigentlich voraussetzt, dass noch jemand mit anwesend sein muss, oder kann man eigentlich auch alleine zu Hause sein, wenn man sagt, ich komme damit alleine zurecht?
Kilian: Genau, also mindestens 20 Prozent unserer Patienten sind alleine zu Hause. Die waren vorher alleine zu Hause und sind auch jetzt während der Betreuung alleine zu Hause. Die haben die Möglichkeit, immer 24 Stunden am Tag mit uns Kontakt aufzunehmen, wenn etwas ist. Aber es ist keine Bedingung, dass man jemanden zu Hause hat.
Pia: Ja, und gibt es noch andere Voraussetzungen, wo man sagt, okay, für mich klingt das Konzept gut, ich würde das vielleicht gerne in Anspruch nehmen zu Hause. Meine medizinische Betreuung zu brauchen, weil ich schon so schwer erkrankt bin, dass ich eigentlich stationär eine Therapie bräuchte und würde das aber gerne zu Hause machen. Wann würde das klappen? Also gibt es noch andere Voraussetzungen?
Kilian: Ja, die erste und größte Voraussetzung ist, dass eine Spitalbedürftigkeit besteht. Das heißt, wir werden keine ambulant zu behandelnden Patienten zu stationären Patienten machen. Das wollen und dürfen wir nicht. Das heißt, es muss ein Zuweiser, sei das ein Hausarzt, Spezialist oder ein Notfallteam, entscheiden, ja, der Patient müsste hospitalisiert werden, ist aber soweit selbstständig und mobil und stabil - gerade pulmonal - dass man ihn nach Hause nehmen kann. Das sind so die Voraussetzungen. Das Patient muss, wie unser Verwaltungspräsident gerne sagt, den Kaffee selber machen können und selber auf Toilette gehen können. Das muss er können. Wenn er dann noch die Spitalbedürftigkeit hat, dann kann man ihn ins Hospital at home aufnehmen.
Pia: Und vielleicht für alle Leute, die nicht im Gesundheitswesen arbeiten, wie kann man sich das vorstellen, was wäre beispielsweise in so einem Fall dann eine Spitalbedürftigkeit?
Kilian: Ja, wenn man sich da jetzt vorstellt, bei uns sind das die häufigste Zuweisungsdiagnose sind Infekte. Davon sind es die Pneumonien. Wenn man da jetzt eine schwer bis schwere Lungenentzündung hat, dann ist das schon ein Zuweisungsgrund. Man muss das immer entscheiden. Das ist ein bisschen ein Diskussionspunkt.
Wie entscheidet man zum Beispiel an einer Notfallstation, ob ein Patient stationär gehen muss oder nicht? Das ist häufig ein Bauchentscheid des behandelnden Arztes oder behandelnden Ärztin. Es gibt Scores dazu, die sind nicht besonders gut und die sind meistens sehr spezifisch. Es gibt keine klare Richtlinie, wann ein Patient stationär muss oder nicht. Das setzt sich zusammen aus Krankheitsbildern, aus Schwere der Erkrankung, aus Laborwerten etc. Es kann sein, dass wir eher leichte Patienten behandeln. Es kann sein, dass wir sehr schwer erkrankte Patienten behandeln.
Das muss man von Fall zu Fall entscheiden.
Pia: Das klinische Bauchgefühl ist sicher ein großes Ding.
Kilian: Genau.
Pia: Wie viele Patient:innen betreut ihr denn bzw. habt ihr vielleicht schon betreut und wie groß ist euer Team, dass das stimmt?
Kilian: Wir haben bisher 260 Patienten betreut. Im Juli 2020 hatten wir die ersten Patienten. Die Zahl nimmt stetig zu. Wir hatten am Anfang so zwei Patienten am Tag. Aktuell sind es um die fünf bis acht Patienten, die wir täglich betreuen. Das ist eine kleine internistische Station, die verteilt ist auf den Raum Zürich. Wir haben das System, dass wir jeden Tag ein Team haben aus Arzt, Ärztin und Pflegefachperson. Die sind dann eigentlich 24 Stunden für diese Patienten verantwortlich und haben insgesamt zwei fix angestellte Ärzte und fünf im Pool, sozusagen teilzeitangestellt. Und bei der Pflege sind es aktuell vier fix und noch vier oder fünf weiter im Pool.
Also wir haben so eine Mischung aus fix und flex System.
Pia: Okay. Kannst du uns vielleicht mal mitnehmen auf so einen klassischen Tag von einer Ärztin, einem Arzt oder einer Pflegekraft bei euch, wie das so konkret abläuft?
Mobile Medizin im Einsatz – der Tagesablauf in der ambulanten stationären Versorgung
Kilian: Das ist nicht so unterschiedlich wie im Spital. Wir haben um acht Uhr morgens einen Rapport. Da telefonieren Arzt und Pflege miteinander und besprechen den Tag, was es für Probleme gibt, ob man irgendwo noch Laborwerte oder Blut abnehmen muss, ob was speziell ist, wann man sich wo trifft. Und dann ist es so, dass eigentlich der Arzt und die Pflege selbstständig auf Visite gehen. Das heißt, wir hatten am Anfang immer die Idee, dass wir zusammengehen. Das ist logistisch aber nicht ganz so einfach. Plus wir haben gesehen, dass es besser ist, wenn zum Beispiel der Patient mit Lungenentzündung am Morgen eine Arztvisite bekommt und dann am Nachmittag noch die Pflegevisite. Das heißt, er hat zwei Visiten am Tag, zu je 30 Minuten bis einer Stunde.
Das ist ein großer Vorteil für die Patienten. Und dann, nach dem Morgenrapport, macht man sich eigentlich auf den Weg auf die Visite. Der Weg ist nicht zu unterschätzen, vor allem im Hauptzürich mit dem See in der Mitte. Wenn man da auf die andere Seeseite muss, dann ist man eine Weile unterwegs. Das heißt, ein großer Teil der Arbeitszeit wird mit Weg gefüllt, leider. Das ist halt einfach so in diesem Hospital. Darum sagen wir auch, acht Patienten ist für ein Team schon relativ viel, weil man ist schon eine Weile unterwegs. Und dann beim Patienten - und ich spreche jetzt aus ärztlicher Sicht - macht man eine ganz normale Visite. Speziell ist halt, dass man beim Patienten zu Hause ist.
Es ist wesentlich intimer. Man sieht auch ein bisschen zu Hause rein. Man sieht, wie der Patient lebt. Man sieht vielleicht, was er für Medikamente noch rumliegen hat, die er eigentlich nicht mehr nehmen sollte. Man sieht bei geriatrischen Patienten, was für Stolperfallen es gibt, ob er gut isst, wie so die Hygiene ist. Man sieht wesentlich mehr als im Spital. Man hat auch mehr Zeit. Als Arzt haben wir durchschnittlich 20 bis 30 Minuten Visite beim Patienten, das schätzen die Patienten auch sehr.
Und das schätzen auch die Angehörigen sehr, weil die natürlich in dieser Zeit auch Fragen stellen können, was im Spital eher schwierig ist. Wenn man im Spital den Angehörigen besucht, dann hat man meistens nicht den Arzt gleich am Bett. Man kann da Fragen stellen.
Das Gleiche bei der Pflege. Die Pflege hat häufig noch die Infusion zu verabreichen. Das heißt, die sind dann mindestens eine Stunde beim Patienten. Und in der Zeit können natürlich auch viele Fragen geklärt werden. Für die Patienten ist es sehr, die sind sie sehr zufrieden. Das konnten wir auch nachweisen mit dieser Art von Behandlung.
Die allermeisten würden das wieder tun. Und dann sind sie sehr froh, dass sie da viele Fragen stellen können. Jeden Tag.
Das ist eigentlich so der Ablauf. Dann macht man seine Visite, spricht mit der Pflege ab, wenn irgendwas gebraucht wird, wenn man noch was machen muss. Und am Nachmittag gibt es noch einen Nachmittagrapport. Dann übergibt man dem nächsten Dienstarzt, der nächsten Dienstärztin telefonisch wieder.
Pia: Und wie macht ihr sowas? Also ich kann mir das sehr gut vorstellen, was du jetzt gerade gesagt hast, dass der Patientenkontakt sehr viel intensiver ist, weil man das Umfeld mitkriegt und ja auch sicher die Angehörigen mitkriegt, die Interaktionen so mitkriegt, als auch viel mehr Zeit eben für Rückfragen bestehen. Also ich meine 30 Minuten oder auch 20 Minuten Visite ist vielleicht möglich auf einer internistischen Station, aber ja auch nicht so die Regel. Plus, dass es ein wahrscheinlich jetzt ziemlich unangetastetes Gespräch ist, sprich nicht fünfmal das Telefon währenddessen klingelt oder irgendwelche Leute rein und raus kommen. Das ist sicher eine hohe Qualität davon. Wie ist das denn, wenn man jetzt das Gefühl hat, ich müsste eigentlich noch eine gewisse Diagnostik machen.
Habt ihr das dann vorher auf dem Schirm und sagt, okay, heute nehme ich keine Ahnung, mein kleines mobiles Ultraschallgerät mit oder Blutabnahme hast du jetzt einmal schon angesprochen oder ich müsste vielleicht ein EKG schreiben oder sowas. Könnt ihr das dann auch vor Ort leisten oder wie läuft sowas dann ab?
Kilian: Genau, das haben wir alles mobil dabei. Wir haben - also Blutentnahme ist sowieso kein Problem. Wir arbeiten mit einem lokalen Labor zusammen, denen können wir dann die Blutwerte bringen und können das digital verordnen und haben das dann innerhalb von ein bis zwei Stunden, die Resultate. Da können wir alles machen, was man so braucht. Dann EKG haben wir ein kleines mobiles EKG, das wir anhängen können, das dann einen digitalen Befund rausgibt, den man in unser System übertragen kann. Ultraschall haben wir ein sehr elegantes Gerät, das eigentlich nur aus einer Sonde besteht, mit der man alles machen kann, was so ein großes Gerät eigentlich auch machen kann, dass man einfach an einen iPad oder Smartphone anhängen kann, da die Bilder sieht. Das ist für die At-Home-Diagnostik lokal zu Hause völlig ausreichend, was man da machen kann. Das geht dann über ein gesichertes Cloud-Netzwerk, kann man das wieder abrufen, kann die Befunde bearbeiten und das dann auch in unserem System speichern.
Was haben wir noch? Genau, Röntgen können wir zu Hause machen. Das machen wir extern über eine Firma, die das hier im Raum Zürich anbietet. Die können wir aufbieten, die kommen dann nach Hause und machen konventionelles Röntgen zu Hause.
Pia: Wow, okay.
Kilian: Das ist alles möglich.
Pia: Das heißt auch, wenn ich das jetzt richtig verstehe, ihr behandelt und diagnostiziert tendenziell erstmal alles zu Hause oder habt ihr doch wie so eine Art Notaufnahme oder so, wo erstmal eine Abklärung läuft? Also meistens ist es ja schon so - wenn man Infektionen, wie du beispielsweise gesagt hast - bekommt, kriegt man erstmal eine relativ große diagnostische Abklärung, was dann alles läuft, bis die Diagnose sich bestätigt hat. Oder kriegt ihr die Leute dann, wenn schon eine Diagnose steht?
Kilian: Wir kriegen die Leute, wenn die Diagnose schon steht oder sagen wir mal, wenn die Arbeitshypothese schon steht. Momentan bekommen wir die meisten Patienten noch aus dem Notfall. Das heißt, da ist die Diagnostik schon gelaufen.
Pia: Quasi aus der Notfallaufnahme.
Kilian: Genau. Das heißt, die Patienten kommen in Notfall, haben irgendein Problem und werden dann aus der Notfallstation uns überwiesen, anstatt dass sie in eine reguläre Station gehen. Und da besteht eigentlich immer schon die Arbeitshypothese. Also man sagt zum Beispiel Pneumonie, Lungenentzündung und braucht so und so lange wahrscheinlich Antibiotika, könnt ihr den Patienten machen. Und dann gehen wir innerhalb von zwei bis vier Stunden zum Patienten, nehmen den bei uns auf, auf unsere Station und behandeln den dann. Wir haben auch das System, dass jetzt zum Beispiel der Hausarzt aus dem Altersheim anruft und sagt, wir haben einen Patienten, der hat wahrscheinlich einen Harnwegsinfekt, ist aber noch nicht ganz klar. Wir haben noch keine Kultur angelegt, wir wissen noch nicht, wir haben noch kein Blutlabor, könnt ihr da helfen. Und dann können wir da vorbeikommen und alles vor Ort machen, die Diagnostik machen und machen da eigentlich mehr auch die Abklärung schon von vorne weg. Das ist wie bei alles möglich.
Pia: Okay, ja.
Kilian: Was wir noch nicht machen, ist Emergency at Home. Also dass wirklich der Patient anruft und sagt, ich habe das und das und wir machen in kürzester Zeit die Abklärung zu Hause. Das machen wir nicht. Auch aus dem Grund, dass wir natürlich eine Zuweisung brauchen. Wir können uns nicht selber Patienten zuweisen ins Hospital.
Pia: Rechtlich meinst du, jetzt ist das nicht möglich. Und wenn du jetzt von so einem Notfall gesprochen hast, wie ist das denn, wenn ihr einen Notfall habt von Patient:innen, die schon bei euch sind im Programm, die ihr schon als reguläre Patient:innen betreut und die haben auf einmal einen Notfall. Also beispielsweise, wenn ich jetzt überlege bei uns im Nachtdienst, es sagt jemand, ich habe irgendwie akut doch Brustschmerzen, irgendwas symptomatikmäßiges, was vielleicht auf einen Herzinfarkt hindeuten könnte und man versucht das dann möglichst schnell abzuklären.
Notfallmanagement und Schnittstellen zur Klinik
Kilian: Wir haben da ein klares Notfallmanagement. Das ist glücklicherweise bisher nur zweimal vorgekommen, dass wir das dann auch anwenden mussten. Es ist so, dass die Patienten uns 24 Stunden am Tag erreichen können. Das läuft tagsüber direkt über die Leitstelle, über unsere Koordinatorin oder Koordinator, der dann reagiert und entweder den Dienstarzt, Dienstärztin involviert oder nicht, wenn es nicht sein muss und in der Nacht über eine Notrufzentrale, die genau das gleiche tut. Und dann wird eigentlich mit dem Dienstarzt, der Dienstärztin besprochen, kann man das telefonisch klären, braucht der Patient einfach Reservemedikation und dann ist das okay, weil er zum Beispiel mehr Husten hat bei der Lungenentzündung und er braucht jetzt irgendein Medikament dafür oder aber er hat etwas, was nach etwas lebensbedrohlich klingt. Dann würden wir die Sanität aufbieten, den Patienten in den Notfall verlegen, um ihn dort abzuklären.
Theoretisch ist es gut möglich, dass man sagt, man nimmt den Patienten in den Notfall, klärt ihn dort ab, wenn alles ausgeschlossen ist, was lebensgefährlich ist, kommt er zurück ins Hospital at home.
Pia: Und das ist wahrscheinlich auch für Schnittstellen zu insgesamt komplett anderen Berufsfeldern, oder? Ich hatte so ein bisschen in der Vorbereitung mir darüber Gedanken gemacht, was denn auch der Vorteil eines stationären Aufenthalts ist, neben den doch eher vielen Nachteilen, die man ja auch sehen kann. Und ich würde sagen, ein Vorteil ist ja schon, dass es eben ein Sammelort für Patientinnen ist, wo dann auf einmal ganz viele verschiedene Berufsgruppen, also medizinische Fachrichtungen, an dieser Person arbeiten können. Sei es eine diagnostische Abklärung oder noch ein tägliches Konsil, dass die Leute mit dazukommen, wenn es jetzt vielleicht doch eher irgendwas ist, was noch chirurgisch irgendwie mit hinzukommt oder wie auch immer. Wenn ich euch jetzt richtig verstanden habe, behandelt ihr vor allem internistische Krankheitsbilder. Wie läuft das dann bei euch?
Kilian: Es sind vor allem internistische Krankheitsbilder. Wir haben auch schon Wunden gepflegt. Das geht auch, aber schlimmer sind es mit internistischen Krankheiten. Wir machen genauso Konsile. Wir machen die halt einfach digital. Das bedeutet, wir können mit den Spitälern, und davon gibt es im Raum Zürich genug, vor allem mit den zuweisenden Spitälern haben wir eine gute Zusammenarbeit. Das heißt, wir können da die Fachspezialisten immer anfragen, sei es schriftlich oder telefonisch, und anfragen, was ihre Meinung dazu ist. Wir können die Patienten in deren Sprechstunde schicken, während der Behandlung bei uns. Wir können denen Befunde schicken, Bilder schicken. Wir können Bilder machen lassen und die teilen mit diesen Spezialisten.
Das ist nicht so unterschiedlich wie zum Spital. Der Patient liegt halt einfach nicht in einem Zimmer, sondern liegt bei sich zu Hause. Aber wenn man es im Spital anschaut, dann ist es natürlich auch häufig so, dass einfach Befunde geschickt werden und nicht der Patient persönlich angeschaut wird vom Spezialisten.
Pia: Und wo würdest du sagen, sind die Grenzen von eurer Behandlung? Also eine andere Sache wäre ja auch noch, dass dadurch, dass jemand im Krankenhaus liegt, beispielsweise die Pflege, das sind meistens ein Dreischichtmodell, sprich in mindestens jeder Schicht, also dreimal am Tag gesehen wird, vielleicht auch über doch dann einen längeren Zeitraum, vielleicht nicht so intensiv, wie du das gerade beschrieben hast, wie ihr das macht, aber vielleicht doch über einen relativ langen Zeitraum immer mal wieder den Eindruck von den Patient:innen hat, als auch vielleicht häufiger Vitalparameter gemessen werden oder sowas. Wo würdest du sagen, ist die Grenze oder was ist vielleicht auch das Risiko bei euch?
Risiko-Management im Hospital at Home
Kilian: Ja, die Grenze bei der Aufnahme der Patienten ist sicher, dass wir keine instabilen, kardiopulmonal instabilen Patienten aufnehmen. Das machen wir nicht.
Wir machen keine Intensivstationen zu Hause und machen keine 24-Stunden-Überwachung. Bezüglich Überwachung bieten wir das genauso an. Also wir haben Variables, die die Patienten dann als Sensoren auf sich tragen und wir 24 Stunden am Tag abrufen können, wie es dem Patienten geht. Das heißt, es findet nicht unbedingt weniger Überwachung statt, sondern im Spital bei dieser spezifischen Art von Patienten vielleicht eher zu viel Überwachung sogar, die es eigentlich gar nicht benötigt. Man hat in verschiedenen Hospital-Home-Programmen gelernt, dass man zu Beginn den Impuls hatte, alle Patienten 24 Stunden am Tag mit allen möglichen Sensoren zu überwachen, weil die sind ja zu Hause. Nur wenn man sich das genau überlegt, im Spital passiert das ja auch nicht.
Also man ist auch im Spital in dieser Kategorie, man muss immer von dieser Kategorie von Patienten sprechen, nicht 24 Stunden überwacht. Wenn, dann kommt vielleicht am Abend und dann wieder am Morgen früh jemand vorbei und misst einmal Vitalparameter. Das passiert bei uns genauso, entweder vor Ort oder digital über diese Variables.
Bezüglich Risiko. Es ist ganz klar bewiesen in verschiedensten Studien, dass Hospital at Home nicht risikoreicher oder sogar ein besseres Outcome hat bei diesen Patienten wie im regulären Spital. Und wenn man sich spezifische Risiken anschaut, wie zum Beispiel Stürzen, dann ist das Risiko geringer, weil man zu Hause sich besser auskennt als im Spital.
Man erleidet weniger Muskelverlust zu Hause, weil man sich mehr bewegen muss, hat weniger Thromben, hat weniger Ulzerationen, also Geschwüre vom Liegen. Das sind alles Risiken, die man eben nicht hat, weil man zu Hause ist. Man hat weniger spitalassoziierte Infekte oder gar keine spitalassoziierten Infekte. Das sind alles Sachen, die man zu Hause nicht hat.
Pia: Ja. Also wenn wir jetzt schon bei den ganz klaren Fakten sind, die du jetzt so aufgelistet hast oder auch schon dich auf Studien bezogen hast, gibt es denn auch Fakten dazu, wo ihr sagt, das ist auch gesamtgesellschaftlich ein Gewinn, so ein Konzept zu haben, neben der stationären Versorgung, neben der ambulanten Versorgung, eben auch so eine stationäre, also häusliche Versorgung mit aufzubauen? Also ich fand, man konnte jetzt sich ganz gut vorstellen, welche Vorteile das für die individuelle Versorgung, für die individuelle Patientin oder Patient hat.
Aber wenn man sagt, okay, ich will das auch etablieren, gesamtgesellschaftlich für die Allgemeinheit, was springt quasi dabei rum?
Gesamtgesellschaftlicher Gewinn: Wie Home-Care Überlastung in Notaufnahmen reduziert
Kilian: Ja, wenn man sich anschaut, ich weiß nicht, wie das in Deutschland ist, aber das wird dasselbe sein wie in der Schweiz. Die Notfallstationen sind vor allem über die Wintermonate überlastet, die Spitäler genauso, man hat keine Betten, man weiß nicht, wohin mit den Patienten, dann ist das natürlich ein Angebot, das da genau den wunden Punkt trifft. Oder man kann sozusagen diese Patienten spitaläquivalent, also das heißt in gleich guter Qualität zu Hause betreuen. Das Spitalbett wird nicht benutzt und es ist sogar risikoärmer wie im Spital. Das ist eigentlich nur Win-Win. Und wenn man das auf die Gesellschaft ummünzen kann, dann könnte man da schon was gewinnen.
Und es gibt natürlich auch Daten, die zeigen, leider noch nicht für die Schweiz, aber hoffentlich bald, dass das auch kostengünstiger ist, als den Patienten regulär im Spital zu haben. Man geht davon aus, dass da Kosten um 10 bis 20 Prozent geringer sind wie im regulär hospitalisierten Patienten.
Pia: Und wie kommt das zustande mit den Kosten? Also das ist natürlich ein großer Punkt, den man sich vielleicht schnell fragt, wenn du beispielsweise davon sprichst, dass ein Arzt seine Ärztin ca. acht oder fünf bis acht Patient:innen betreut. Klingt das jetzt, als auch die Fahrzeiten etc. damit eingerichtet werden, längere Gesprächssituationen, Behandlungssituationen möglich sind, klingt das für mich jetzt erstmal sehr kostenintensiv? Gleichwohl weiß man natürlich auch, dass in der stationären Versorgung auch sehr viel extrem ineffizient läuft.
Kilian: Ja, ich will eigentlich kein Bashing der stationären Medizin machen. Die braucht es nach wie vor. Aber ich glaube, für den Teil der Patienten, die wir im Hospitals at Home betreuen können, ist das schon ein Vorteil. Man muss natürlich überlegen, dass im Spital auf den Patienten mehrere Ärzte kommen pro Tag, nicht nur einer, sondern ein Unterassistent, ein Arzt, ein Assistenzarzt, ein Oberarzt, ein Leitender und ein Chefarzt. Das haben wir nicht. Wir haben nur einen Arzt pro Patient. Auch in der Pflege haben wir eine Schicht und nicht drei oder vier Schichten. Das ist schon mal deutlich günstiger als im Spital. Natürlich betreuen diese alle Ärzte mehrere Patienten, aber trotzdem haben wir weniger Personal für die Patienten. Dann haben wir die ganze Infrastruktur nicht, also das Bett, das Material, Strom, Wasser etc. Das hat der Patient alles zu Hause. Das benutzt er sowieso, das besteht sowieso schon und man nutzt diese Ressourcen, die es eh schon gibt und muss nicht extra Ressourcen bereitstellen. Also auch dort kann man Kosten sparen. Der Weg natürlich, das ist wahrscheinlich der große Punkt, dass unsere Wegzeiten die Kosten, Ressourcen aber auch Geld, und das ist sicher ein Punkt, den man sagen kann, ja, das hat das reguläre Spital natürlich nicht, aber dafür müssen wir keine neuen Spitäler bauen.
Pia: Und du hast jetzt schon häufiger dich auf Studien bezogen. Kannst du dazu einmal was sagen, woher kommen diese Studien, wo könnte man die nachlesen bzw. ist das von welchen Ländern, wie gut ist das übertragbar, wie lange existiert das schon? Kannst du uns da einen Überblick geben?
Internationale Erkenntnisse und Übertragbarkeit von Hospital at Home Konzepten
Kilian: Ja, also es gibt ältere Studien, es gibt neue Studien, es gibt einen wunderbaren Cochrane Review von 2024, die Hospital at Home, vor allem die Admission Avoidance beleuchtet. Admission Avoidance bedeutet, dass man Patienten anschaut, die aus dem Notfall oder vom Hausarzt direkt ins Hospital at Home gehen.
Das heißt, man verhindert die reguläre Aufnahme, das ist die Admission Avoidance. Und das ist eine sehr gute Review, die die Vorteile aufzeigt gegenüber der regulären Hospitalisation, oder wo Hospital at Home gleich gut ist wie die reguläre Hospitalisation. Die meisten Studien kommen aus den USA.
In den USA gibt es dann das schon seit Jahrzehnten Hospital at Home in verschiedenster Art und Form. Die machen auch schon ganz andere Dinge wie wir, also inklusive Beatmung zu Hause und Diagnostik zu Hause, von der wir nur noch träumen können. Aber das kommt vielleicht bei uns in Europa auch irgendwann, dass wir das noch viel mehr ausweiten. Das meiste kommt aus den USA. Es gibt einige Studien aus Skandinavien, aber in Europa ist das noch nicht so gut erforscht wie in den USA, wie so oft in der Medizin.
Pia: Werdet ihr jetzt letztendlich forschend begleitet, also versucht ihr das auch jetzt für die Schweiz Daten zu sammeln und auszuwerten?
Kilian: Genau, ja wir versuchen oder wir sammeln die Daten und wir versuchen das dann auch auszuwerten für uns in der Hospital at Home AG. Wir versuchen das auch gesamtschweizerisch auf die Beine zu stellen. Man hat da verschiedene Kooperationen.
Wir haben die ‚Swiss Hospital at Home Society‘. An die sind verschiedene Akteure in diesem Feld angeknüpft und wir versuchen da die Daten zusammenzubringen und das auch gesamtschweizerisch darzustellen, um auch politisch ein bisschen mehr Druck zu haben, weil für Hospital at Home gibt es noch keinen Tarif. Also die Abrechnung ist schwierig für Hospital at Home, weil man da so im Mittelfeld ist zwischen ambulant und stationär und da wollen wir schon auch Argumente haben, dass man das tarifarisch auch unterstützt.
Darum versucht man auch diese Studien auf die Beine zu stellen. Das ist medizinisch natürlich auch spannend zu sehen, was wir hier machen, wie sicher das ist, wie gut das Outcome ist, wie lange die Patienten bei uns liegen etc. Das ist aber von extern schon sehr gut bewiesen. Extern bedeutet aus dem Ausland. Das heißt, das ist jetzt für uns der große Punkt, die Kosten darzustellen.
Pia: Und um da nachzubohren, wenn du sagst, eigentlich ist es noch gar nicht so etabliert, dass das getragen wird, wie finanzieren die Patient:innen das dann aktuell, eure Versorgung?
Kilian: Für die Patienten macht das keinen Unterschied. Wir haben den ambulanten Tarif in der Schweiz, das ist TARMED und wir haben den stationären Tarif, das ist die Fallpauschale, also für die Lungenentzündung gibt es so und so viel Geld, für den Beinbruch gibt es so und so viel Geld und wir haben momentan im Kanton Zürich, das ist jetzt nur für den Kanton Zürich, haben die zwei Hospital-at-home-Programme eine Vereinbarung mit der Gesundheitsdirektion, dass man unterstützt wird, also wir werden gefördert, soweit, dass wir die Hälfte, den kantonalen Anteil von dieser Fallpauschale erhalten und den Rest ambulant abrechnen. Das heißt, für uns ist das eine bessere Rechnung, wir können unsere Kosten decken, für die Leistungsträger, also für die Krankenkassen ist es aber ein günstigeres Modell, weil wir ambulant abrechnen.
Pia: Und wäre euer Ziel jetzt langfristig dahin zu kommen, dass ihr die gleiche Pauschale kriegt, also letztendlich die Fallpauschale des stationären Aufenthalts?
Kilian: Ja, das wird wahrscheinlich nicht geschehen, weil das schwierig ist, uns als dieses Mittelding zwischen stationär und ambulant so zu positionieren, dass wir sagen, wir wollen den gleichen Tarif. Das ist auch nicht unbedingt das Ziel. Wir wollen eigentlich einen eigenen Tarif für dieses Hospital-at-home. Wenn man sagt, dass dieser Tarif, sagen wir mal, zehn Prozent unter dem DRG, also unter der Pauschale ist, die das Spital für den stationären Fall bekommt, dann ist das schon ein Gewinn für uns.
Pia: Und sicher, vielleicht ein bisschen einfacher.
Kilian: Ja, wir gehen in die Richtung, dass wir einen eigenen Tarif erhalten, hoffentlich.
Pia: Jetzt sind wir dabei relativ konkreten Problemen, die ihr vielleicht jetzt habt oder die ihr versucht zu lösen und damit auch eine gewisse Pionierarbeit jetzt in der Schweiz beispielsweise macht. Wir haben schon darüber gesprochen, dass das in Deutschland noch nicht da ist oder wenn, vielleicht irgendwo in Kinderschuhen, wo man es noch nicht so ganz auf dem Schirm hat. Was würdest du dazu sagen? Wird das Konzept flächendeckend einsetzbar oder bleibt es jetzt erst mal ein Pilotprojekt?
Hospital at Home als Zukunftsmodell - Pilotprojekt heute, Standardversorgung morgen?
Kilian: Also ich bin überzeugt, dass es in 20 Jahren ein fester Bestandteil ist, der medizinischen Versorgung. In dieser oder in einer anderen Form, ob es uns da noch gibt, das weiß ich nicht. Ich kann mir gut vorstellen, dass das so ein Plattformprojekt wird, an dem die Spitäler sich anschließen können und denen man diese Infrastruktur bietet, Patienten extern, also zu Hause zu betreuen. Ob da dann verschiedene Player drin sind oder einer oder vielleicht sogar der Kanton da irgendwas übernimmt, keine Ahnung. Das wird sich zeigen, aber ich glaube nicht, dass das einfach so wieder verschwindet.
Ich glaube, das wird sich durchsetzen mit der Zeit. Man muss noch vieles klären neben den Tarifen. Also nur schon, wenn ich anschaue, die ganze Logistik, wie man das aufzieht, wie man das auch aufzieht, wenn es dann mehr Patienten sind, wie man das organisiert, was für Personal man einsetzt etc. Das ist sehr sehr aufwendig und auch schwierig, weil es das einfach noch nicht gibt. Aber ich glaube, es wird sich durchsetzen mit der Zeit.
Pia: Auf der anderen Seite bietet das natürlich auch Chancen, weil wenn ich mir jetzt vorstelle, du hast gesagt, bei euch sind die Wege relativ groß, aber je mehr Patient:innen es gibt, desto enger werden die wahrscheinlich zwangsläufig auch ein bisschen zusammenwohnen und ließen sich dann vielleicht bündeln, was die Wege angeht.
Gibt es Bestrebungen, das Ganze auch ins Ausland, also beispielsweise nach Deutschland zu tragen, Vernetzungsstrukturen etc.? Oder ist es erst mal so ein bisschen so, es gibt einen Haufen motivierte Leute, die das Konzept gut finden und die basteln erstmal für sich jetzt beispielsweise kantonspezifisch daran herum?
Kilian: Ja, wir haben ja den berühmten Kantönligeist in der Schweiz. Das heißt, jeder marschelt so ein bisschen für sich. Das ist schon ein bisschen so. Es ist schwierig, die Akteure zusammenzubringen, vor allem, weil nicht alle Programme gleich sind und nicht alle Programme gleich funktionieren. Ich glaube, wir wollen alle dasselbe und haben alle dieselbe Überzeugung, dass das ein gutes Programm ist, das funktionieren kann, auch schweizweit und auch europaweit, wenn es so sein muss. Es gibt jetzt zumindest von unserer Seite keine Ansprüche, das jetzt nach Deutschland zu tragen.
Wir wollen das erstmal in Zürich etablieren. Dass das hier funktioniert, das ist noch zu weit weg. Es gibt aber natürlich ein Netzwerk aus Hospital-at-Home-Enthusiasten.
Nächste Woche findet der ‚World Hospital at Home‘ Kongress in Wien statt. Da sind wir auch dabei. Da sind eigentlich alle dabei, die irgendwas mit Hospital at Home zu tun haben.
Und das merkt man schon, dass das ein großes Netzwerk ist von Leuten, die da wirklich dahinter stehen und die Vorteile wirklich sehen und leben jeden Tag.
Pia: Ja, ein anderes Problem, was ja letztendlich der ganzen Krankenhaus- oder der ganzen Gesundheitsversorgung so ein bisschen bevorsteht, ist der demografische Wandel. Dass es einfach immer mehr ältere Leute geben wird, dem gegenüberstehen nicht ganz so viele junge Leute, die potenziell diese älteren Leute versorgen können. Und einfach standardmäßig ist es nun mal so, dass ältere Menschen mehr Krankheiten haben. Sprich, das ist jetzt nicht nur ein Problem, was euch betrifft. Wie würdest du das sagen, kann das zusammengehen mit eurem Konzept? Weil es klingt für mich doch ein bisschen aufwendiger oder ein bisschen zeitintensiver. Auch wenn du gesagt hast, dass ihr wahrscheinlich weniger Personal vielleicht habt, weil ihr beispielsweise keine Nachtschichten abdecken müsst oder nur Rufbereitschaftsdienst für eben diese Notfälle, die auch gar nicht so häufig auftreten. Aber nichtsdestotrotz klingt es natürlich nach einer sehr guten, aber auch sehr individualisierten und damit vielleicht doch aufwendigeren Versorgung als woanders.
Kilian: Ja, da ist das Stichwort ‚Hospital at Institution‘. Das ist eigentlich Hospital at Home für Patienten und Patientinnen in Institutionen, also in Altersheimen, Pflegeheimen oder Altersresidenzen. Das heißt, wir bieten das gleiche Konzept für Patienten an, die bereits in einer medizinischen Institution sind. Dort ist es häufig so, dass diese Patienten eigentlich gar nicht mehr ins Spital wollen und dann, wenn dann aber irgendwas ist, wenn irgendein akutes medizinisches Problem vorhanden ist, dann muss man halt doch überlegen, was macht man jetzt. Und da kann so ein System sehr gut greifen, indem man sagt, man macht vor Ort Diagnostik, man behandelt und verhindert so, dass der Patient überhaupt den Transport, den Notfall haben muss, hospitalisiert wird über eine Woche und dann zurückkommt und delirant ist. Wenn man das so anschaut, dann spart man natürlich dem System sehr, sehr viel. Also man spart viele Ressourcen, man spart Geld, man spart Personal, das da viel leisten müsste, dass dieser Patient dann schlussendlich therapiert wird.
Pia: Ja und vielleicht als riskante oder - provokante Frage besser gesagt. Ich hatte mich in der Vorbereitung ein bisschen gefragt, ob das System doch darauf beruht, dass wir die Care-Arbeit so ein bisschen im häuslichen Bereich wieder abwiegeln. Und du hast jetzt schon gesagt, es ist nicht daran gebunden, dass man eine andere Person, Familienangehörige, wie auch immer hat, die zu Hause auch mit einem betreuen.
Nichtsdestotrotz hatte ich so ein ganz bisschen das Gefühl oder zumindest mich gefragt, ob wir das so als Gesellschaft dann so ein bisschen wieder in den häuslichen Bereich das Problem abwiegeln, wie es ja vielleicht in anderen Sozialfragen auch schon ein bisschen geschieht.
Kilian: Ja, also in der Schweiz zumindest haben wir ja diese wunderbare Institution der Spitex, die ja seit Jahrzehnten Betreuung zu Hause macht.
Pia: Die Spitex ist eine?
Erweiterung der Betreuung oder Übertragung von Care-Arbeit?
Kilian: Spitalexterne Betreuung, das heißt, dass die Pflege nach Hause kommt. Zum Beispiel bei Patienten, die im Spital waren und jetzt noch Betreuung zu Hause brauchen, etc. Oder geriatrische Patienten, die zu Hause ein bisschen Hilfe brauchen, sei das medizinisch, haushaltstechnisch, etc. Und die kommen dann nach Hause und so oft, dass das halt dann braucht und leisten da sehr gute und professionell hochstehende Arbeit zu Hause.
Das heißt, das gibt es schon. Also man turft ja das Problem eigentlich nicht ab, sondern man erweitert dieses Angebot. Und ich glaube, das sehen wir uns auch. Wir arbeiten auch mit den lokalen Spitexen so oft es irgendwie geht zusammen. Das heißt, wenn wir jetzt Patienten aufnehmen, dann schauen wir, ob eine Spitex Zeit und Ressourcen hat, diesen Patienten mit uns zusammen zu betreuen. Das heißt, wir erweitern das Feld, indem wir sagen, die Spitalbetreuung kommt nach Hause.
Wir betreuen da Spital-Äquivalent, also in gleicher Qualität zusammen mit den schon bestehenden Strukturen, zum Beispiel der Spitex, der Pflege zu Hause.
Pia: Und wie ist das mit den Ärztinnen und Pflegerinnen, die bei euch im Team sind? Kannst du was dazu sagen, wie deren Arbeitszufriedenheit ist? Beziehungsweise man hat ja vielleicht intensiveren Patient:innenkontakt, verbringt aber auch Zeit im Auto, die jetzt sonst vielleicht klassisch nicht ganz zum normalen Arbeitsplatz von einem Arzt oder einer Ärztin oder Pflegekraft gehören. Wie ist das bei euch? Wie nimmst du das wahr? Beziehungsweise, wenn ich dich richtig verstanden hatte, hast du auch selbst in dieser Funktion gearbeitet?
Kilian: Ja, also arbeite ich immer noch. Es ist sehr individuell. Also die Zeit im Auto kann auch genutzt werden. Man kann über Siri E-Mails schreiben, man kann telefonieren, man kann Podcasts hören oder was auch immer. Also man kann die Zeit auch nutzen. Und ich glaube, es ist individuell. Wenn man gern Auto fährt, dann ist es nicht so ein Problem.
Und so lange sind die Zeiten dann auch nicht. So weit sind die Distanzen in Zürich dann auch nicht. Die Schweiz ist klein.
Ich kann nicht einfach generell für die Pflege sprechen, die bei uns angestellt ist. Aber so das Feedback ist schon, dass ihnen die Arbeit eigentlich sehr gefällt. Wir sind noch ein kleines Team. Wir haben viel Austausch. Wir haben flache Hierarchien. Sie sind alles Pflegende, die gerne am Patienten sind. Und das können Sie da voll ausleben. Man ist sehr selbstständig als Arzt, Ärztin, wie auch als Pflegefachperson am Patient. Es ist anspruchsvoll, weil man den Patienten zu Hause nur in dieser Zeit sieht. Man kann nicht einfach nochmal kurz zum Patienten, wenn man das will. Das heißt, man muss ihn klinisch, sei das als Arzt, Ärztin oder als Pflegeperson, gut einschätzen können. Das ist eine Herausforderung. Und ich glaube, die Pflegenden schätzen das und genießen das auch.
Pia: Ja. Was würdest du gerne mit Hospital at Home in der Zukunft erreichen? Also vielleicht den Zeithorizont für die nächsten fünf Jahre. Aber wenn du komplett frei denken könntest oder es dir wünschen könntest, wo siehst du Hospital at Home in der Zukunft?
Visionen für flächendeckende und integrierte Betreuung
Kilian: Ja, ich sehe das schon als Plattform, Institution, die sich anbietet als Dienstleister für die verschiedenen Spitäler. Es gibt schon so viele Systeme und Institutionen. Man muss das nicht alles neu erfinden. Man kann das eigentlich relativ leicht ausbauen. Das heißt, dass zum Beispiel ein Spital sagt, wir wollen das auch machen, machen das mit uns zusammen und wir liefern die- was es halt braucht, sei es Manpower, sei es Infrastruktur, sei es Logistik oder einfach Beratung und bauen das eigentlich so immer weiter aus, bauen das Netzwerk so immer weiter aus und können so eigentlich flächendeckend Hospital at Home anbieten. Das wäre meine Vorstellung.
Vor allem auch dann für ländliche Gebiete, in denen jetzt vielleicht nicht überall ein Spital steht, dass man das dort auch anbieten kann, dass für Spitäler, die jetzt weit entfernt liegen, das wie eine Satellitenstation ist und dort lokal betreut wird von einem Team.
Pia: Ja, das finde ich ist eigentlich ein ganz gutes Schlussplädoyer, weil es vielleicht ja auch viele Probleme löst, die schon bestehen, ohne die Revolution zu fordern, sondern wirklich ganz gut eingreift und gewisse Dinge besser macht. Und ich glaube auch, das ist ein gewisser Pragmatismus, der der Gesellschaft wahrscheinlich ganz gut tut, an diesen Stellschrauben zu drehen.
Herzlichen Dank für das Gespräch und den Einblick. Ich fand es super spannend, würde gerne mal bei euch mitfahren und mir das angucken.
Kilian: Ja, sehr gerne, du bist jederzeit willkommen.
Pia: Das klingt richtig gut. Hast du noch irgendwas auf dem Herzen, wo du sagst, das möchte ich noch unbedingt loswerden?
Kilian: Ja, ich glaube, wir müssen da wirklich, also Hospital at Home Vertreter müssen da wirklich zusammenarbeiten. Ich glaube, das ist schon sehr wichtig, man muss sich da nicht als Eigenbrötler sehen und jeder sein eigenes Ding machen, sondern muss da wirklich zusammenarbeiten, das ist sehr wichtig, sonst wird das schwierig, das durchzusetzen.
Pia: Vielleicht sind ja jetzt auch ein paar Zuhörende inspiriert worden, solche Projekte auch anzustoßen oder zumindest mal nachzufragen in verschiedenen Orten, Ländern, wie auch immer.
Vielen Dank dir für das Gespräch und deine Zeit, ich wünsche dir Erfolg auf dem weiteren Weg und bin ganz gespannt, wie es mit euch weitergeht.
Kilian: Vielen Dank dir, ja.
(Outromusik läuft ein und wird langsam lauter)
Pia: Das war Heilewelt, der Podcast über positive Zukunftsvisionen in der Medizin. Vielen Dank euch fürs Zuhören. Wenn wir euch ein bisschen inspirieren konnten, freuen wir uns über eure finanzielle Unterstützung auf unserer Website oder auch eine Bewertung auf eurem Podcast-Plattformen.
Abonniert gerne unseren Newsletter oder folgt uns auf Instagram, wenn ihr keine neue Folge mehr verpassen wollt. In diesem Sinne, bleibt gesund, neugierig und optimistisch, bis ganz bald.